Die Meinung – Kommentar zum Ausgang der US-Wahl
von Reinhard Kuhlmann
Die USA sind nicht Deutschland und Pennsylvania ist nicht Mecklenburg-Vorpommern. Soweit die Binse.
Der Ernst: Die Präsidentenwahl in den USA erlaubt Erkenntnisse, die nicht mit einfachen Federstrichen auf unsere Situation übertragbar sind. Gleichwohl geben sie wichtige Hinweise auch für uns. Umrisse eines Menetekels sind keineswegs zufälliger Natur.
Ein triumphaler Erdrutschsieg für Trump! Und keineswegs so unvorhersehbar, wie große Teile der Politik, der Medien und der Öffentlichkeit in unserer Wohlfühlblase suggerieren. Wer den „überraschenden“ Wahlsieg Trumps aus deutscher und europäischer Sicht betrachtet, der kommt an dem Selbstbetrug in diesem Lande nicht vorbei.
Aus der Sicht deutscher Michels (auch weiblicher und diverser) konnte nicht sein, was nicht sein darf. Ein nationalistischer, rassistischer, spalterischer, der Wahrheit wenig zugeneigt, dafür aber der Lügen mächtig – ein solcher Narzisst mit rüpelhafter Ausdrucksweise gewinnt die Präsidentenwahl haushoch.
Gewinnt überraschend mit hohem Abstand vor seiner Konkurrenz, weiblich, mit migrantischen Wurzeln, zugleich respektvolle und glaubwürdige Vertreterin der liberalen Demokratie und der offenen Gesellschaft. Die Wunschkandidatin des deutschen Mainstreams wird deklassiert. Gegen alle (öffentlich-rechtlich tief grundierten) Hoffnungen und Erwartungen. Dieses Ergebnis sagt einiges aus über die Wahrnehmungssperren größter Teile der Öffentlichkeit.
Anstatt rauf und runter das Faktotum Trump zu dämonisieren, hätte sich ein schärferer Blick auf die realen Ausgangssituationen in den USA gelohnt. Der Anti-Personen-Kult hat hier wie dort Trump in die Karten gespielt. Die Dämonisierung hüben wie drüben hat ihren Anteil am Ergebnis der Wahl. Und siehe – auch nach der Katastrophe dreht sich die Erde weiter.
So what? Es war vorher zu sehen – auch wenn es kaum jemand wahrhaben wollte.
Gründe für den Erdrutschsieg sind offenkundig.
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- Besonders auch in den „Swing States“ sind die durchaus erkennbaren makroökonomischen Erfolge Bidens (noch) nicht angekommen.
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- In wichtigen Swing-States hat das Sozialprodukt das Vor-Corona-Niveau (noch) nicht erreicht.
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- Die Inflation bedrückt nachhaltig mittlere und untere Einkommensschichten. Dies gilt insbesondere für Lebensmittel und Hypothekenkredite.
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- Eine durchgreifende Erholung des Arbeitsmarktes lässt auch in zentralen Swing-States auf sich warten.
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- Die Zweifel an den komparativen Vorteilen von Globalisierung wachsen angesichts der massenhaften Zerstörung industrieller Arbeitsplätze in der Vergangenheit und ihrer sichtbaren Hinterlassenschaften.
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- Die Angst vor ungesteuerter Migration erfasst über den „weißen Arbeiter“ hinaus auch große Gruppen von Migranten.
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- Abstiegsängste reifen in einem solchen ökonomischen Umfeld, und es ist völlig falsch, dies nur bei den weißen Arbeiterschichten zu sehen.
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- Umweltschützende Maßnahmen werden – durch politische Agitation verstärkt – als Bedrohung der eigenen wirtschaftlichen und sozialen Existenz wahrgenommen.
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- Die wahrgenommene Ungleichheit der Verteilung von „Sicherheitslasten“ in der Welt besonders im Vergleich zu Europa emotionalisiert.
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- Der pointierte Nationalismus mit seiner Konzentration auf Protektionismus und Abschottung erscheint als heilbringend in einer wahrgenommenen Krise.
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- Die „wokeness“ wird nicht als Element und Erfolg der Moderne wahrgenommen, vielmehr als ein weltabgewandtes Spielfeld von Eliten.
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- Trump-Fans stilisieren sich als Opfer – besonders als Opfer von Globalisierung und „globalistischen“ Eliten. Sie suchen nach Stimme und auch derbem Ausdruck.
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- Hieran knüpfen das Misstrauen gegenüber der liberalen Demokratie und die Sehnsucht nach dem kompetenten und starken Führer nahtlos an.
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- Der erkennbare Autoritarismus Trumps ist da kein Mangel, er ist eine Bedingung seines Erfolgs.
Ganz anders, als wir es gerne hätten, haben die offene Gesellschaft, die liberale Demokratie, die Umwelt und das Klima bei der überwiegenden Mehrheit des Wahlvolks keine bestimmende Rolle gespielt. Liberale Demokratie ist ein hohes, ein sehr hohes Gut. Aber sie ist kein Selbstzweck. Sie muss zeigen, wir alle müssen zeigen, dass sie es besser können. Ergebnisse braucht das Land.
Und das ist das Zeichen an der Wand.
So weit sind diese Ausgangsbedingungen von Wahlentscheidungen von denen in unserem Land nicht entfernt. Die Verbesserung der Bedingungen für das Leben der Menschen muss erfahrbar sein. Taten sind gefordert, gutes Regieren eben. Und Worte. Die lebendige Erzählung, das moderne „Narrativ“, nimmt die Menschen mit und kann sie fesseln.
An Taten und Worten fehlt es allerorten.
Reinhard Kuhlmann, IG Metall und SPD-Mitglied, ehemals: Vorstand und Arbeitsdirektor ThyssenKrupp Marine Systems, CEO Hellenic Shipyards, Generalsekretär Europäischer Metallgewerkschaftsbund, IG Metall – Grundsatzabteilung und Hans Böckler Stiftung – Forschungsförderung.
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