Systemsturz. Der Sieg der Natur über den Kapitalismus

von Gottfried Timm

Kann es auf einem Planeten, der endlich ist, ein unendliches Wachstum geben? „Nein“, sagt Kohai Saito, und fordert einen Systemsturz. Anders als die Rechtspopulisten, für die eher die Demokratie als Gesellschafts- und Regierungsform an ihr Ende gekommen ist, will der marxistische Philosoph aus Japan die Ökonomie des Kapitalismus überwinden. „Sollten wir weiter versuchen, den Kapitalismus am Leben zu erhalten, sind wir angesichts des Chaos, das die Klimakrise mit sich bringt, zum Rückfall in die Barbarei verdammt.“

Der Green New Deal, die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen und technologische Projekte wie das Geo-Engineering sind „Opium des Volkes“, weil Jahr um Jahr die Treibhausemissionen steigen oder bestenfalls viel zu spät sinken werden und die Klimakatastrophen in immer kürzeren Abständen ihre Opfer fordern, so Saito. Ebenso das Artensterben. Die Rhetorik von einer Reparatur des Kapitalismus lullt ein, weil sein immanentes System auf Wachstum, also auf Ausbeutung, angelegt ist. Den Preis zahlen die Armen und Ärmsten sowie die Natur. Eine Wende kann es erst dann geben, wenn die Wohlfahrt einer Gesellschaft nicht mehr auf die Steigerung des Konsums ausgerichtet ist, also auf das Bruttoinlandsprodukt und die Vermehrung des Kapitals, sondern auf Commens. 

Was ist sind Commens? Saito fordert eine Revolution mit dem Ziel, die Überflusswirtschaft zu beseitigen und eine Gebrauchswirtschaft zu errichten. Er will solche Allgemeingüter wie den Boden, das Wasser und die Luft vergesellschaften. Ebenso sollen Bildung, Gesundheit und Sicherheit nicht privaten Gesellschaftern überlassen werden.

Die Kritik am Kapitalismus von Marx verbindet Saito mit der Postwachstums – Ökonomie, wie sie Nico Paech oder Ulrike Herrmann vertreten. Denn der Kapitalismus schafft eben auch Mangel. Nicht nur den Mangel an bezahlbarem Wohnraum (Mangel an Boden für die Allgemeinheit), sondern auch einen Mangel an gerechter Arbeit, an gesunder Luft und an etlichen gemeinschaftlichen Werten, so Saito. Dem Autor ist bewusst, dass seine linke Philosophie mit dem Hinweis auf den gescheiterten Sozialismus in der Sowjetunion (und im Osten Deutschlands) gekontert werden kann. Dagegen setzt er demokratische Produktionsprozesse und die Demokratie als Staatsform. Soweit ich sehe, hält er an den unteilbaren individuellen Menschenrechten fest.

In einer Zeit enormer politischer Herausforderungen und Endzeitprophetien sehen wir, wie die Sehnsucht nach radikalen Lösungen zunimmt. Das Buch des Neu-Marxisten Saito ist in Japan über 500 000 mal verkauft und stand im letzten Jahr auf Platz 5 der Spiegel-Bestsellerliste für Wirtschaftsbücher. Die Stärke des „Degrowth – Kommunismus“ von Kohai Saito sehe ich dort, wo er die Axt an die Wurzel des herrschenden Wirtschaftssystems legt. In der Theorie kann ich seinem gut lesbaren, in der 1. Person geschriebenen Buch über weite Strecken folgen.

Im letzten Kapitel, in dem es um Konkretionen und politische Umsetzungen geht, neigt das Buch zu einer Rhetorik, die wir aus politischen Sonntagsreden kennen. „Wenn wir Menschen unsere Kräfte Schulter an Schulter und solidarisch bündeln, können wir unsere einzige Heimat, den Planeten Erde, noch retten.“ Ich habe dieses Buch so gelesen, als ob unsere globalisierte Welt in jedem Fall vor einem Systemsturz steht. Entweder wir lassen es über uns zusammenbrechen oder wir nehmen den Systemwechsel in unsere eigene Hand.

Bei allen Systemkritiken, die gegenwärtig auf dem politischen Markt diskutiert werden, gehört diese des japanischen Marxisten nicht nur zu den radikalsten, sondern auch zu den überzeugendsten. Ich wünsche ihr viel Erfolg, denn wir wissen: „Eine politische Idee ist nur dann wirksam, wenn sie die Massen ergreift“ (Karl Marx).

Systemsturz. Der Sieg der Natur über den Kapitalismus von Kohei Saito, dtv-Verlag. Das Taschenbuch kostet 14 Euro, das E-Book 10,99 Euro. Aus dem Japanischen von Gregor Wakounig. ISBN : 978-3-423-28369-4
Gottfried Timm, geboren und aufgewachsen in Mecklenburg, ehemaliger Pastor und Innenminister in MV, SPD – Mitglied, engagiert sich für den Klimaschutz, ist leidenschaftlich gern auf dem Wasser, lebt in Schwerin.
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