Sophie Westenholz – beeindruckende Persönlichkeit und spannende Komponistin

von Reinhard Wulfhorst 

CD-Vorstellungen: Folge VIII

Sophie Westenholz, Klaviersonate c-Moll (außerdem: Dora Pejacevic, Klaviersonate op. 36; Ethel Smyth, Klaviersonate Nr. 2); Kyra Steckeweh; Kaleidos 2020

Dieser kleine CD-Führer durch die Musik aus Mecklenburg-Vorpommern startete vor ein paar Wochen mit Emilie Mayer. Beschließen möchte ich ihn mit der anderen großen Komponistin des Landes: mit Sophie Westenholz.

Eine beeindruckende Frau

Eleonora Maria Sophia Westenholz (kurz Sophie Westenholz, wie sie sich in Briefen und als Komponistin nannte) muss eine beeindruckende Frau gewesen sein: Drei Jahre nach Mozart in Neubrandenburg geboren und ausgebildet vom Hofkomponisten Johann Wilhelm Hertel in Schwerin, wirkte sie als Sängerin, Klavier- und Glasharmonikaspielerin und Komponistin am Hof zu Mecklenburg-Schwerin in Ludwigslust, übernahm bei Hofmusiken vom Klavier aus die Rolle eines „Directeurs“, konzertierte in Städten wie Berlin, Leipzig und Kopenhagen und schuf in der Abgeschiedenheit des Ludwigsluster Hofes ein höchst eigenständiges Œuvre, das sie aber bis auf wenige Ausnahmen nie veröffentlichte. Gleichsam nebenbei zog sie acht Kinder „alleinerziehend“ auf. 

Das Œuvre: schmal, aber ambitioniert

Sophie Westenholz‘ kompositorisches Schaffen ist schmaler, aber stilistisch ambitionierter einzuschätzen ist als das von Emilie Mayer. Dennoch wartet sie anders als ihre in Friedland geborene Kollegin noch auf eine breite Wiederentdeckung. Das liegt auch daran, dass ihre Kompositionen lange Zeit nur in schlecht zu lesenden Handschriften in Archiven in Brüssel, Hamburg und Schwerin schlummerten. Erst in den letzten Jahren konnte ich ihre Klavierwerke und Lieder mit Unterstützung der Stiftung Mecklenburg in meinem Verlag Edition Massonneau veröffentlichen. In den bisherigen Folgen habe ich immer zwei CDs eines Komponisten empfohlen. Das ist bei Sophie Westenholz leider anders: Hier gibt es aus dem eben genannten Grund nur eine einzige empfehlenswerte Aufnahme.

„Sonate aller Sonaten“

Die empfohlene CD-Aufnahme ist die Klaviersonate c-Moll in der Interpretation durch Kyra Steckeweh. Auf einer der beiden erhaltenen Handschriften des Werkes (aufbewahrt in der Landesbibliothek in Schwerin) ist vermerkt: „Sonate aller Sonaten […] gespielt mit der Seele in den Fingern“. Dieser mysteriöse Zusatz hat verständlicherweise die Fantasie der Forscher beflügelt. Es ist natürlich spannend, der Frage nachzugehen, was die Botschaft dieser Anmerkung ist. Das sollten Sie aber nicht machen, während Sie die Aufnahme hören. Denn die Klaviersonate hat Ihre volle Aufmerksamkeit verdient. Stopp! Bevor ich ins Schwärmen über diese Musik gerate, muss ich daran erinnern, dass ich an der Entstehung der Aufnahme intensiv beteiligt war. Es gelten also die bereits mehrfach betonten Regeln: Ich erkläre mich für befangen und beschränke mich hier darauf, die Aufnahme mit Zitaten aus der Fachpresse vorzustellen. 

Nur eine objektive Anmerkung erlaube ich mir vorweg: Erinnern Sie sich beim Hören bitte daran, dass Sophie Westenholz eine Zeitgenossin von Wolfgang Amadeus Mozart war und ihre vorzügliche Ausbildung bei Hertel genossen hatte, der noch der Vorklassik zuzuordnen ist. Mit ihrer Sonate in c-Moll entfernt sich Sophie Westenholz mindestens ebenso weit vom musikalischen Gestus der Klassik wie die in dem fraglichen Zeitraum entstandenen Klaviersonaten von Beethoven. Dabei findet sich in dem relativ gut dokumentierten Klavierrepertoire, mit dem sie in Ludwigslust in Berührung gekommen ist, keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass sie zu Beethovens Sonatenwerk Kontakt hatte. Stattdessen spielte sie Mozart, Haydn und Pleyel. In Briefen an den Schweriner Kantor und Notensammler Johann Jacob Heinrich Westphal erbat sie Werke von Franz Anton Hoffmeister und Leopold Koželuh und legte außerdem ihren Fokus ausdrücklich auf „brilliante“ Konzerte. Dies ist alles Musik, die sie mit ihrer Klaviersonate in c-Moll stilistisch weit hinter sich lässt. 

Warum betone ich das so? Weil man hier nur voller Staunen über die vollkommen eigenständige Entwicklung einer Komponistin außerhalb der damaligen großen Musikzentren der Welt sein kann. Sophie Westenholz komponierte „moderner“ und unkonventioneller als die allermeisten ihrer männlichen Kollegen.

Kyra Steckeweh; Kaleidos 2020, CD-Cover

Große Eleganz und musikalische Dramen

Nun also zu der empfohlenen Aufnahme. Im Online-Magazin „Klassik heute“ können wir über die Westenholz-Sonate und ihre Interpretation lesen: „Mit großer Eleganz, Sorgfalt, kräftigem Brio spielt Steckeweh diese Sonate voller Empfindungen, überraschenden Wendungen und rauschenden Läufen.“ Das FonoForum spricht von „musikalische(n) Dramen, die die große Bühne für sich beanspruchen“ und attestiert der Interpretation „Kraft und Leidenschaft“, und Michael Kube schließlich hat eine „beseelte Partitur“ erlebt (neue musikzeitung).

Online-Konzert mit Liedern und Klavierstücken 

Leider (noch) nicht auf CD, aber in der Mediathek von NDR-Kultur können Sie Lieder und einzelne Klaviersätze hören und sehen, die der Sender im „Corona-Studiokonzert“ mit Sophia Maeno und Maša Novosel aufgenommen hat. Das ist erfreulicherweise immer noch auf der Internetseite des NDR verfügbar.

Lesetipp: Über Sophie Westenholz ist im Internet und zwischen Buchdeckeln leider immer wieder Unsinn zu lesen (dazu zum Beispiel die Kontroverse um das Buch Komponistinnen, dort nach dem Stichwort „Westenholz“ suchen). Wem die grundlegende Arbeit von Ruth Heckmann in ihrem Buch Tonsetzerinnen nicht zugänglich oder zu ausführlich ist, kann sich über das Leben und Schaffen von Sophie Westenholz wieder in den Vorworten der in der Edition Massonneau erschienenen Notenausgaben informieren.

Titelfoto: Sophie Westenholz, Zeichnung eines unbekannten Künstlers
Reinhard Wulfhorst, Dr. beschäftigt sich neben seiner Tätigkeit in der Landesregierung mit Musik aus M-V und als Inhaber des Musikverlages Edition Massonneau (www.edition-massonneau.de) mit Veröffentlichungen über Komponistinnen und Komponisten aus dem Land. Er möchte zu diesem Thema schreiben und ab und zu über ein Konzert berichten.

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