Robert Kahn – der ewige Romantiker

von Reinhard Wulfhorst 

CD-Vorstellungen: Folge IV

Robert Kahn, Klaviertrios Nr. 1 E-Dur op. 19, Nr. 2 Es-Dur op. 33, Nr. 3 c-Moll op. 35, Nr. 4 e-Moll op. 72; Hyperion-Trio; 2 CDs; cpo 2014

Robert Kahn, Klavierquartett Nr. 2 a-Moll; 7 Lieder aus „Jungbrunnen“ für Gesang und Klaviertrio op. 46; Serenade für Streichtrio; Hohenstaufen Ensemble; Hänssler 2013

In dieser Folge möchte ich mit Ihnen einen Ausflug ins 20. Jahrhundert unternehmen. Wer mit atonaler oder gar Zwölftonmusik nicht viel anfangen kann, sei beruhigt: Es geht um den Komponisten Robert Kahn, den der Kahn-Spezialist Steffen Fahl treffend als „romantischen Klassizisten“ bezeichnet hat. Andere nennen ihn den „ewigen Romantiker“, weil er auch dann noch (spät-)romantisch komponierte, als der Zeitgeist längst in der Moderne gelandet war. 

Von Johannes Brahms gefördert

1865 in Mannheim als Spross einer jüdischen Kaufmanns- und Bankiersfamilie geboren, wurde Robert Kahn schon früh von Clara Schumann gelobt und von Johannes Brahms gefördert. Er war lange Zeit Professor für Komposition in Berlin und gefragter Klavierpartner von so bedeutenden Musikern wie Adolf Busch, Georg Kulenkampff und Josef Szigeti, um nur die Geiger zu nennen. Gerhart Hauptmann und der Pianist Wilhelm Kempff gehörten zu seinen engen Freunden. Prominente Uraufführungsmusiker wie der führende deutsche Geiger Joseph Joachim oder die Berliner Philharmoniker unter Hans von Bülow belegen das Renommée Kahns. Sein kompositorisches Schaffen fokussiert sich im Wesentlichen auf Kammermusik, Lieder und Chorwerke.

Robert Kahn in Feldberg/Mecklenburg

Aber was verbindet Robert Kahn mit Mecklenburg? Kahn ließ sich 1910/11 im mecklenburgischen Feldberg auf dem Ziegenberg oberhalb des Haussees eine Villa errichten. In dieses Haus zog er sich insbesondere während der Sommermonate von Berlin aus zurück, hierhin siedelte er nach seiner Emeritierung 1932 ganz um, und von hier aus wurde er wegen seiner jüdischen Abstammung Anfang 1939 ins Exil nach England vertrieben. Dort starb er 1951 vereinsamt, verarmt und vergessen. Die Villa Kahn, von ihm selbst nach einem Rückert-Gedicht „Haus Obdach“ genannt, wurde lange Zeit als Jugendherberge genutzt und im Juni 2023 durch Brandstiftung stark zerstört. 

Vier Klaviertrios – „Leidenschaft, Wärme, Anmut, vortreffliche Arbeit“

Leider weist die Kahn-Diskographie empfindliche Lücken auf. So ist das in Feldberg begonnene opus magnum „Tagebuch in Tönen“ nur mit ganzen vier Beispielen der etwa 1160 Klavierstücke vertreten; Chorwerke sind überhaupt nicht erhältlich. Deshalb muss man dem Entdecker-Label cpo, das in dieser Reihe von CD-Vorstellungen eine wichtige Rolle spielt, wieder einmal danken. Es hat zumindest eine Zeit lang auch Robert Kahn auf seine Agenda gesetzt. Aus den dort erschienenen Kammermusikwerken habe ich die Klaviertrios ausgewählt, auch wenn die Sonaten für Violine und Cello ebenso lohnenswert sind. 

Auf zwei CDs, die zu einem Schnäppchenpreis zu bekommen sind, hat das Hyperion-Trio alle vier Klaviertrios von Robert Kahn eingespielt. Diese Werke entstanden zwischen 1893 und 1914, in einer Zeit also, als Igor Strawinsky mit seinem Le sacre du printemps Skandale auslöste. Davon ist Kahn weit entfernt. Die Klaviertrios weisen ihn als begnadeten Melodiker aus. Unter der eleganten Oberfläche verbirgt sich aber ein Kompositionshandwerk von großer Kunstfertigkeit. Beim Hören der Trios kann man gut nachvollziehen, was Clara Schumann über den 22jährigen Kahn notiert hatte: „Da ist Leidenschaft, Wärme, Anmut, vortreffliche Arbeit, nur lehnt er sich sehr an Brahms und [Robert] Schumann, doch das schadet nichts, wenn es mit so viel Talent geschieht.“ Das Hyperion-Trio bleibt dieser schwärmerischen Musik nichts schuldig. Musik und Interpretation sind so packend, dass man ohne Weiteres alle vier Werke hintereinander hören kann.

Serenade für Streichtrio – die Verfemung und ihre Nachwirkungen

Die zweite CD kombiniert das Klavierquartett Nr. 2 mit 7 Liedern nach Paul Heyse und der bezaubernd-wehmütigen Serenade für Streichtrio. Letztere hat Kahn im Mai 1933, also vier Monate nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, in Feldberg vollendet. An eine Freundin berichtet der verfemte jüdische Komponist: „Ich habe inzwischen ein Streichtrio geschrieben, zu meiner eigenen Freude und der eines engeren Freundeskreises – denn meine Rolle als Komponist habe ich natürlich in Deutschland einstweilen ausgespielt.“ Dieses Trio ist kontrapunktisch und satztechnisch hochraffiniert durchgearbeitet und wahrt dennoch stets einen serenadenhaften Ton. Es ist ein weiteres trauriges Kapitel des „Dritten Reiches“ und seiner Nachwirkungen, dass diese wunderbare Musik bis heute nicht gedruckt vorliegt und deshalb kaum gespielt wird (das soll sich allerdings mit einer Notenausgabe der Edition Massonneau in den nächsten Monaten ändern). Zu den vorzüglichen Ausführenden der CD gehören mit Rahel Maria und Sara Maria Rilling zwei Urenkelinnen des Komponisten (und Töchter des großen Chordirigenten Helmuth Rilling); sie setzen sich seit Jahren für die Wiederentdeckung dieses bedeutenden musikalischen Erbe ein. Besonders gefällt mir die Geigerin Rahel Rilling, die mit warmem Ton die Musik ihres Urgroßvaters zum Blühen bringt.

Lesetipp: Es gibt eine vorzügliche Internetseite von Steffen Fahl, auf der sich viele Informationen über Leben und Schaffen von Robert Kahn finden. Ein Klick: Robert Kahn

Reinhard Wulfhorst, Dr. beschäftigt sich neben seiner Tätigkeit in der Landesregierung mit Musik aus M-V und als Inhaber des Musikverlages Edition Massonneau (www.edition-massonneau.de) mit Veröffentlichungen über Komponistinnen und Komponisten aus dem Land. Er möchte zu diesem Thema schreiben und ab und zu über ein Konzert berichten.

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