von Til Rohgalf
Die neue Operndirektorin am Mecklenburger Staatstheater hat sich etwas getraut. Judith Lebiez gab ihr Regiedebüt in der Schweriner M*Halle. Sie wählte mit der japanischen Oper „Hanjo“ ein ungewöhnliches Stück. Dem gut besuchten Haus bot sie zur Premiere ein minimalistisches und subtiles Opernerlebnis. Dabei verbindet sie Musik, Bühnenbild und Interaktion der Schauspieler*innen zu einer Meditation über Identität, Liebe und Sehnsucht mit einer ganz eigenen Ästhetik und Symbolik.
„Hanjo“ von Toshio Hosokawa basiert auf dem gleichnamigen Stück des berühmten wie umstrittenen japanischen Schriftstellers Yukio Mishima. Der Einakter handelt von einer tragischen, unerfüllten Liebe. Es geht um das lange und zähe Warten auf den Geliebten. Die Interaktion der drei Hauptfiguren Hanako, Jitsukio und Yoshio macht das Stück spannend.
![](https://www.kulturkompass-mv.de/wp-content/uploads/2024/12/Bildschirmfoto-2024-12-15-um-12.19.28-1024x828.png)
Hanako, eine Geisha, von ihrem Geliebten Yoshio verlassen, verliert durch die lange Trennung ihre geistige Gesundheit. Als Erinnerung an Yoshio besitzt sie noch einen Fächer, den sie einst mit ihm getauscht hatte. Jitsuko ist eine ältere Frau, die Hanako aufgenommen hat und eine große Zuneigung zu ihr entwickelt. In der zweiten Hälfte des Stückes tritt Hanakos Geliebter auf. Er kehrt zurück, um Hanako zu holen, wird aber von dieser nicht erkannt. Das Stück endet mit apodiktischen Fragen zur Liebe und Identität.
Hosokawa gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen japanischen Komponisten. In seinen Werken verbindet er japanische und westliche Traditionen. Bei „Hanjo“ ist es die Symbolik, die sich hinter der vordergründig zurückgenommenen Handlung verbirgt. Sie ist dem traditionellen Nō-Theater entlehnt ist. Eine intensive Melange gehen diese Elemente mit der modernen Musik und der westlichen Operntradition ein.
![](https://www.kulturkompass-mv.de/wp-content/uploads/2024/12/Bildschirmfoto-2024-12-15-um-12.21.54-1024x775.png)
Ideal gewählt ist der Spielort der M*Halle, einer ehemaligen Druckerei in Schwerin. Diese hat sich bereits mit experimentellen und intensiven Inszenierungen einen Namen gemacht. Hosokawas Erforschung psychologischer Extremzustände wie Obsession, Verlust und Verzweiflung findet so in einem atypischen und intimen Raum statt. Das reduzierte Bühnenbild schafft einen Raum, der die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche lenkt. Für die Innenschau der drei Protagonist*innen bietet es einen passenden Rahmen. Im Zentrum steht ein offener, begehbarer Schädel, umgesetzt vom Künstler Mircea Alexandru Caragea. Dieser Kopf stellt Hanako dar. Auf spannende und dramaturgisch effektvolle Weise wird das Bühnenbild im Laufe des Stückes ausgeleuchtet.
Das kleine Orchester spielt hinter dem Bühnenbild versteckt. Hosokawas subtile und meditative Musik setzen die Musiker*innen gekonnt um. Die Klänge werden spärlich, hoch konzentriert eingesetzt. Stille und Raum bilden einen integralen Bestandteil der Musik. In einigen Takten erklingen nur einzelne Töne. Fein abgestimmte Klangfarbenmelodien werden angedeutet. Naturgeräusche werden durch perkussive Elemente Naturgeräusche angedeutet. Diese filigrane, zerbrechliche, immer aber zugängliche und poetische Natur von Hosowakas Musik arbeitet das Orchester gekonnt heraus.
![](https://www.kulturkompass-mv.de/wp-content/uploads/2024/12/Bildschirmfoto-2024-12-15-um-12.33.29-1024x730.png)
Die Nutzung von Stille als gleichberechtigtes Element der Musik ist dann auch ein deutlicher Einfluss der Nō-Tradition. Hosokawa verteilt auch wiederholt musikalische Linien pointillistisch auf verschiedene Instrumente. Er entwirft dabei fließende, schwebende Klanglandschaften und zeigt die Nähe zur Klangfarbenmelodie westlicher neuer Musik auf.
Anna Cavaliero in der Rolle als Hanako, Hanna Larissa Naujoks in der Rolle als Jitsuko und Martin Gerke überzeugen gesanglich. Sie wechseln – wieder ganz im Sinne des Nō-Theaters – zwischen melodischen Motiven, Sprechgesang und Deklamation. Flüsternder Gesang und ausdrucksstarke Ausbrüche gestalten das englische Libretto (deutsche Obertitel) expressiv aus.
Das Regiedebüt zeigt die künstlerischen Leitlinien und Ambitionen der neuen Operndirektorin. Der lang anhaltende Applaus zur Premiere verdeutlicht, dass das Schweriner Opernpublikum offen ist für ungewöhnliches Terrain und andere Klänge.
Zu erleben ist die Oper noch am 18.01. und am 25.01.2025.
![](https://www.kulturkompass-mv.de/wp-content/uploads/2024/12/TilRohgalf-724x1024.jpg)