von Reinhard Wulfhorst
CD-Vorstellungen: Folge III
Louis Massonneau, Quartette für Oboe, Violine, Viola und Violoncello Nr. 1-3; Ensemble Più; Audite 2004
Louis Massonneau, Duos concertantes für Violine und Violoncello, op.9 Nr. 1-3; Demian Baraldi (Violine), Dylan Baraldi (Violoncello); Brilliant Classics 2023
In dieser Folge möchte ich Ihnen einen meiner besonderen Favoriten in der Musik aus Mecklenburg vorstellen: Louis Massonneau. 1766 in Kassel als Sohn des französischen Küchenmeisters am landgräflichen Hof geboren, trat er schon als 17-jähriger Geiger in das dortige Hoforchester ein. Nach einem raschen Wechsel von Positionen in Orchestern in Göttingen, Frankfurt am Main, Altona, Dessau und Hamburg stellte ihn Herzog Friedrich Franz I. 1803 in seine Hofkapelle in Ludwigslust ein. Diese Kapelle galt damals als eines der besten Orchester in Deutschland; sie wird in den weiteren Folgen dieser CD-Vorstellungen noch mehrfach eine Rolle spielen. Massonneau prägte dann als Orchesterleiter, Geiger und Komponist das Musikleben am Hof zu Mecklenburg-Schwerin in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts maßgeblich. Er starb 1848 hochbetagt in Ludwigslust.
Leider behandeln CD-Labels und Rundfunkanstalten diesen Komponisten, der vom Publikum so begeistert aufgenommen wird, nach wie vor stiefmütterlich. Verfügbare Aufnahmen seiner Violinkonzerte, Streichquartette oder Kirchenmusik – Fehlanzeige. Umso erfreulicher ist es, dass die beiden einzigen lieferbaren CDs mit seiner Musik ohne Vorbehalt zu empfehlen sind.
Oboenquartette gewinnen mit Einfallsreichtum
Die Oboenquartette bieten alles, was die Musik Massonneaus auszeichnet. Besonders fällt die für einen ausgebildeten Geiger erstaunliche Vertrautheit mit den Möglichkeiten der Oboe ins Auge. Massonneau setzt auf Virtuosität, weiß aber genauso um die lyrischen Qualitäten des Instruments. Man höre nur das Adagio des 1. Quartetts, in dem die Oboe mit einer einzigen großen Gesangslinie von über drei Minuten anrührt. Aber auch die drei Streicher dürfen ihre je eigenen Stärken mit anspruchsvollen Rollen ausspielen. Die Quartette machen mit ihrem überbordenden Einfallsreichtum Laune – dem Publikum genauso wie den Ausführenden. Ich habe diese Musik schon an fünf Abenden hintereinander gespielt, und auch bei der letzten Aufführung hatten wir großen Spaß und ließen uns von dieser Musik neu inspirieren.
(Klang-)schöne Aufnahme mit dem Ensemble Più
Wie dankbar diese Musik ist, teilt sich in der schönen und ungemein spielfreudigen Aufnahme des Ensemble Più in jedem Takt mit. Dabei sind die Ausführenden keine Stars, sondern „nur“ Mitglieder von Sinfonieorchestern in Nordrhein-Westfalen. So ist die Aufnahme auch ein guter Beleg dafür, auf welchem hohen Niveau in den deutschen Kulturorchestern gespielt wird und was für einen Schatz wir hier haben, der mit aller Macht erhalten bleiben muss. Ich persönlich wünschte mir an der einen oder anderen Stelle, dass die Musiker ihren auf Klangschönheit ausgerichteten Ansatz ein wenig verlassen und die Musik noch stärker dramatisieren und zuspitzen, mehr mit Klangfarben spielen. Aber das tut der dringenden Empfehlung für diese CD keinen Abbruch.
Duos concertantes – Glanzlichter des Repertoires
Die Duos concertantes gehören zu den Glanzlichtern des Repertoires für Violine und Violoncello: mit herrlichen Melodien, einer gleichrangigen Behandlung beider Instrumente und ausgeprägter Virtuosität. Für mich sind diese „Massonneaus“ das Beste, was vor Ravel und Kodaly für Violine und Violoncello komponiert worden ist. Und immerhin hat der von mir so geliebte Joseph Haydn ebenfalls für diese Besetzung geschrieben. Auch hier fallen die für Massonneau typischen lyrischen Qualitäten auf. Sie finden in einprägsamen Melodien von großer Einfachheit ihren Ausdruck, die immer wieder ein leichter Hauch von verhangener Melancholie umgibt.
Besonders im Blick: das Cello
In Sachen Virtuosität versucht das Cello die Violine sogar noch zu übertreffen. Das ist umso bemerkenswerter, als das Generalbasszeitalter, das das Cello auf eine einfachere Basslinie beschränkte, gerade erst zu Ende gegangen war. Bei meinen Forschungen bin ich auf eine ganz einfache Erklärung für diese prominente Rolle des Cellos gestoßen: Massonneau dürfte die Duos geschrieben haben, als er 1796 mit dem bekannten Cellisten Martin Calmus an den ersten Pulten des Altonaer Theaterorchesters saß und mit diesem häufiger im Duo konzertiert hat. Zeitgenossen rühmten Calmus‘ „außerordentliche Geschwindigkeit und seinen schönen Ton beym Vortrage seiner Konzerte“ – beides Eigenschaften, die in Massonneaus Duos in besonderem Maße gefordert sind. Calmus unterhielt sein Auditorium übrigens auch mit der Violine – indem er sie wie ein Cello zwischen die Knie nahm und darauf zauberte. Dass Massonneau sich im Gegenzug Calmus‘ Cello ans Kinn setzte und wie eine Geige traktierte, möchte ich eher bezweifeln.
Die Baraldi-Brüder: ein vorzüglich aufeinander eingespieltes Duo
Demian und Dylan Baraldi haben die drei Duos in einer Weltersteinspielung vorgelegt. Sie sind zwei reizende Brüder, die mich um den Booklettext für ihre CD gebeten hatten und die wir später in ihrer Heimatstadt Verona kennengelernt haben. Massonneau verstehen sie eher als „Klassiker“. Sie interpretieren die Stücke mit klangschönem Ton, werden den virtuosen Anforderungen mehr als gerecht und präsentieren sich als vorzüglich aufeinander eingespieltes Duo. Achten Sie einmal auf die kleineren Kadenzen und Verzierungen, die nicht in den Noten stehen, aber damals von den Musikern hinzuerfunden wurden. Diese Duos vertragen auch eine wesentlich romantischere Interpretation, die das Schwärmerische dieser Musik ausreizt und stärker auf Effekte setzt. Aber es zeigt die Qualität dieser Musik, dass sie ganz verschiedene Interpretationsansätze erlaubt.
Lesetipp: Die Literatur über Louis Massonneau ist leider ebenso spärlich gesät wie die Aufnahmen seiner Musik. Deshalb bleibt mir nur, auf zwei eigene Veröffentlichungen hinzuweisen. Online ist die Biographie Massonneaus im Vorwort zu einer der Notenausgaben in der Edition Massonneau verfügbar. Wer sich ausführlicher informieren möchte, sei auf die einzige Massonneau-Biographie hingewiesen.