Lichtblitze auf dem Wasser und eine uralte, zeitlose Wahrheit

Für die fünfte Folge unserer Reihe „Perlen der Ostsee – eine musikalische Schatzsuche“ sprach Til Rohgalf mit der polnischen Musikerin Olga Anna Markowska.

Geboren und aufgewachsen ist Olga Anna Markowska (*1993) in der Region Podlasie im Grenzgebiet zu Weißrussland. Dieser Landstrich war über Jahrhunderte ein kultureller Schmelztiegel und ebenso ein Ort reicher osteuropäischer Literatur und Poesie. So hatten der Literaturnobelpreisträger Czesław Miłosz und der Lyriker Jerzy Harasymowicz hier ihre familiären Wurzeln.

Landschaftlich ist das Gebiet – neben der Landwirtschaft –  geprägt von weiten, urwüchsigen Wäldern. Bis heute nennt die Künstlerin die Region eine wichtige Inspirationsquelle, auch wenn sie nach dem Cello-Studium nach Gdánsk zog, um Medienkunst zu studieren. Seitdem lebte sie an vielen Orten in Polen:

„Hier bin ich aufgewachsen und habe zum ersten Mal Einsamkeit erlebt, die sich eher inspirierend als isolierend anfühlte. Der Rhythmus des Lebens dort, die Stille, die weiten, offenen Flächen – all das hat meine Sensibilität und meine Wahrnehmung der Welt geprägt. Dieser Einfluss fließt unweigerlich in meine Musik ein.”

Die interdisziplinäre Künstlerin und multi-Instrumentalistin erschafft mit dem Einsatz von Cello, Elektronik und Zither ein subtiles Klanguniversum, das sich an der Schnittstelle von Ambient, Minimalismus, Avantgarde und Kammermusik bewegt. Im Januar erschien ihr Album “ISKRA” auf dem Berliner Kultlabel Miasmah. Produktive Einsamkeit ist ein Charakteristikum ihres kompositorischen Schaffens: Die Stücke von „ISKRA” entstanden in langen nächtlichen Aufnahmesessions allein zu Hause. Eine perfekte kreative Atmosphäre zum einen, aber auch neben ihrer Arbeit die einzig für sie verfügbare Zeit. Anfangs nutzte Markowska dabei vorhandenes Equipment: Handy, Kassettenrekorder oder Laptop-Mikrofone. Die Möglichkeiten der digitalen Musikproduktion und den Umgang mit Audio-Software erlernte die Künstlerin dabei nach und nach.  „ISKRA”, entstanden zwischen 2017 und 2022, macht dieses Prozesshafte und Suchende, das Improvisierte und Intuitive ihrer kompositorischen Arbeit hörbar. Im Ambient-Genre ist der Einsatz der Zither ein Alleinstellungsmerkmal. Für die Komponistin ist dieses Instrument von besonderer Bedeutung:

„Ich liebe den Klang der Zither und ihre Fähigkeit, reiche Harmonien zu erzeugen. Für mich fühlt er sich an wie Lichtblitze auf dem Wasser, wie ein Traum oder eine uralte, zeitlose Wahrheit – etwas, das sich kaum beschreiben lässt. Ich habe eine tiefe Verbindung zu meiner Zither, einem etwa 120 Jahre alten Instrument. Ich habe sie mit den Originalsaiten gekauft, und obwohl sie mit der Zeit abgenutzt sind, werde ich sie spielen, bis sie nicht mehr halten. Dieses Instrument ist absolut außergewöhnlich.”


Viele ihrer Stücke entstehen auf der Basis von wiederkehrenden Zither- oder Cello-Motiven, die sie dann collageartig zerlegt, umformt oder mit anderen Elementen – wie u. a. repetitiven Umweltgeräuschen – überlagert. Insbesondere bei Live-Auftritten greift sie auf Kernmelodien zurück, nutzt aber ebenso freiere Formen, um jedes Mal neue erzählerische und emotionale Ebenen hinzuzufügen. Inspiriert ist die Musikerin durch zeitgenössische Komponisten wie Henryk Górecki, Steve Reich, Arvo Pärt oder Jóhann Jóhannson. Beeindruckt zeigt sie sich von der „Rauheit“ alter Musik wie von Josquin Desprez. Ebenso spielten genreübergreifende Künstler*innen wie Alva Noto, William Basinski, Lucy Railton oder Tim Hecker bei der Genese einer eigenen musikalischen Sprache eine Rolle.


In den Stücken auf „ISKRA” finden sich immer wieder subtile Reminiszenzen an die genannten Künstler*innen. „Fever Dreams” erinnert mit seiner durchgängigen, statischen Noise-Wand und den sich langsam entfaltenden Harmonien an William Basinski. Eine Nähe zu Arvo Pärts Tintinnabuli-Stil entfalten die in Zeitlupe erklingenden Einzeltöne, die den Opener „Dawn” begleiten. Die verzerrten Cello-Spuren, die sich bei “Blue Spring” langsam miteinander verflechten, lassen ein Klangbild entstehen, das eine Verwandtschaft zu polyphonen Chorälen der Renaissance besitzt. 

Album-Cover „ISKRA”

Olga Anna Markowskas Musik entfaltet durch ihre vordergründige Einfachheit und Ausdruckskraft emotionale Intensität. Stücke wie „A heart is an eye” oder „Dusk” entwickeln daher in ihrem elegischen Charakter eine ähnliche Wirkung wie Werke von Henryk Górecki. Auf „ISKRA” dokumentiert Markowska aber die Entwicklung eines gänzlich eigenen, individuellen Stils und Sounds. Herausragend sind insbesondere die Stücke des Albums, in denen die Zither eine tragende Rolle übernimmt, wie bei „Train ride home” oder „Helix”. Markowskas Musik klingt wie der Welt und der Gegenwart entrückt. Sie wirkt, als atmete sie das Gefühl von Einsamkeit beim Durchstreifen endloser, unberührter Natur. Es ist spürbar, wie sehr „ISKRA” in der ostpolnischen Landschaft Podlasies und den Kindheitserinnerungen Markowskas verwurzelt ist:

„Ich mache Musik über die Orte, mit denen ich mich verbunden fühle. [Orte, die] meine Fantasie beflügelt haben und in verschiedenen Momenten mit meinen Emotionen in Resonanz getreten sind. Orte hinterlassen einen tiefen Eindruck in uns. Sie prägen sich in unsere Erinnerungen ein, verändern und verschwimmen allmählich und verwandeln sich manchmal in etwas völlig anderes als das, was sie einmal waren. Doch ich stelle fest, dass die mit ihnen verbundenen Gefühle unverändert bleiben. […] Es ist die Falle der Nostalgie – aber eine so schöne.“

(Fotos aus der Serie „polaroids”, Website Olga Anna Markowska)

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Til Rohgalf studierte Sonderpädagogik, Philosophie und Geschichte (M.A.), er ist im Schuldienst tätig, musikbegeistert und musikalisch aktiv. Ihn interessieren politische, kulturelle und geistesgeschichtliche Themen.

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