Kråkenes Fyr bei Windstärke 15

von Manja Wittmann

Der Untertitel „Wo die Freiheit wohnt – mein Leben im Leuchtturm am Ende der Welt“ verrät schon etwas genauer, worum es in diesem biografischen Bericht geht. Das Ende der Welt bezieht sich auf die Westküste Norwegens, wo einige hundert Kilometer nördlich von Bergen der Leuchtturm Kråkenes Fyr auf einer Klippe oberhalb der Nordsee steht. Um sich diesen Ort besser vorstellen zu können, gibt es im Buch zwei Bildteile mit spektakulären Fotos.

Erster Besuch der „Krähennase“ vor über 40 Jahren

Schon Mitte der 1980er Jahre hat der Hamburger Thomas Bickhardt als junger Psychologie­student den Leuchtturm auf der „Krähennase“ das erste Mal besucht und war schlagartig fasziniert von diesem Ort. Daran erinnert er sich lebhaft, als er 1994 für zunächst zwei Jahre einen Pachtvertrag unterschreibt und dafür sein bisheriges Leben von Hamburg an die norwegische Nordsee verlegt. Aus diesen zwei Jahren sollen schließlich 30 werden.

Thomas Bickhardt zeigt uns die ganz realistische Wirklichkeit eines Auswanderers. Seine große Norwegen-Liebe hilft ihm bei vielen Gelegenheiten, nicht zu resignieren. Natürlich lernt er die Sprache und versucht, sich im Nachbarort bei den wenigen Bewohnern nützlich zu machen. Doch er bleibt immer der Außenseiter in der Dorfgemeinschaft. Die wortkarge Art der Leute bleibt für ihn bis zum Schluss gewöhnungsbedürftig. Die Unterschiede in den Mentalitäten beschreibt er nachvollziehbar, ohne zu verurteilen. 

Immer wieder verbringt Bickhardt einige Wintermonate in Hamburg. Dort hält er Vorträge und schafft es so, sein Kråkenes Fyr bekannt zu machen. Bald vermietet er mehrere einfach eingerichtete Zimmer an Touristen und Norwegenliebhaber. Und zu seinem allergrößten Glück entschließt sich schließlich seine Hamburger Freundin und große Liebe Bettina, zu ihm zu ziehen. Sie bekommen eine Tochter, und das turbulente Familienleben beginnt.

Raues Land, raue Sprache

Wie Bickhardt diese Vorkommnisse beschreibt, hat einerseits etwas sehr (selbst-) analytisches, wie es sich für einen Psychologen vielleicht gehört. Aber es hat auch andererseits etwas sehr Direktes und Rührendes, denn seine Sprache wurde nicht von einem Lektorat abgeschliffen, sondern schön rau und stellenweise fast holprig belassen. Das gibt dem Bericht eine angenehme Menschlichkeit, die einem die Personen bald ans Herz wachsen lassen, selbst die störrischen Norweger.

Eine weitere überaus wichtige Hauptfigur in diesem Buch ist das Meer. Auf dem hohen Felsen ist Bickhardt in seinem kleinen Leuchtturmwärterhaus den Gewalten der Natur ausgesetzt. Man liest die beeindruckenden Beschreibungen der verschiedenen Wetterphänomene, lernt, dass die Beaufort-Skala mit ihren 12 Windstärken für diesen Ort nicht ausreicht, und kann es kaum fassen, dass tatsächlich eines Tages die Panorama-Fensterscheibe (immerhin 50 Meter über dem Meeresspiegel) in einem gewaltigen Sturm zu Bruch geht. Aber ebenso oft ist der Blick auf die See ein Trost, eine Beruhigung und die Belohnung für alle möglichen Mühen, die das Leben dort mit sich bringt.

Und wer mag, kann sich immer mal wieder virtuell über die Website des Leuchtturms Kråkenes Fyr an die wilde Westküste Norwegens versetzen lassen und den Nordseewellen zuschauen.

Thomas Bickhardt „Windstärke 15 “, erschienen im Ludwig Verlag, 287 S., Hardcover 24,00 Euro

Manja Wittmann ist Bücher-Lotsin des Kulturkompass-MV und wird uns in alle möglichen Himmelsrichtungen literarischer Neuerscheinungen führen. Sie ist Buchhändlerin in München. Manja hat lange in der Film-und Fernsehbranche gearbeitet und wird uns beim Kulturkompass-MV auf ihre literarischen Favoriten hinweisen und spannende Sachbücher empfehlen. Sie kommt aus Schleswig-Holstein und da wundert es nicht, dass der Schwerpunkt auf Büchern liegt, die mit dem Meer zu tun haben oder von nord- bzw. ostdeutschen Autor*innen stammen.

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