Kolonialismus und Steuerparadiese

von Gerald Ullrich


Wie Vermögensverwalter Reichtum tarnen und einen neuen Kolonialismus schaffen“, lautet der treffend gewählte Untertitel  des Buches “Offshore” der amerikanischen Soziologin Brooke Harrington. Die Autorin macht deutlich, dass bei Steueroasen zumeist nur an die zwielichtigen Personen gedacht werde, die dort ihr Vermögen verstecken und Steuerzahlungen umgehen. Unbeachtet bleibe zumeist, dass solche Leute, in aller Regel Reiche und extrem Reiche, ohne die findigen Helfer aufgeschmissen wären, also die Verwalter ihrer Vermögen. Grund genug für Brooke Harrington, deren Forschung den Superreichen gilt, deren Helfer einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Auch, dass es bei Steuerparadiesen um Geheimnisse geht, also etwas zu verbergen ist, lernt man.

Steuerparadiese: Relikte des historischen Kolonialismus

Die Hochschulprofessorin Harrington klärt auch auf, dass das Verstecken zum Kerngeschäft dieser Paradiese zählt. Dass das Ganze mit einer neuen Form von Kolonialismus zu tun haben soll, mag einem wie ein werbewirksamer Aufmacher erscheinen. Im Buch wird man eines Besseren belehrt. Mehr noch, sie zeigt auf, dass diese Steuerparadiese Relikte des historischen Kolonialismus sind. Der hatte viele dieser Orte schon damals dafür geschaffen, um einen Platz zu haben, an dem die eigentlichen Regeln (Gesetze) eines Landes außer Kraft gesetzt waren und umgangen werden konnten. Damals betraf dies zumeist den Zoll auf Waren. Heute sind es riesige Vermögen. 

Die Soziologin Brooke Harrington (Foto: © Eli Burakian)

Wie das heute einen „neuen Kolonialismus“ schafft, wird verständlich, wenn man sich vor Augen führt, dass das Verhältnis von Kolonie und der sie beherrschenden Macht stets eines von Ausbeutung und Plünderung war. Die imperialen, überwiegend europäischen Mächte der Kolonialzeit unterwarfen fremde Weltregionen, um sich deren Güter einzuverleiben und ihre Arbeitskräfte auszunutzen. Der neue Kolonialismus, den uns Harrington in diesem Buch vor Augen führt, hat auch mit Plündern und Auszehren zu tun. Jetzt sind es aber die ehemals mächtigen Nationalstaaten, die zur Ader gelassen werden – und zwar von extrem vermögenden Personen, die unter Einsatz raffinierter Vermögensverwalter dafür sorgen, dass riesige Einnahmen und Vermögen am jeweiligen Staat vorbeigeschleust werden. Sie spricht hier auch von „Kolonialismus 2.0“, denn in diesem System wiederhole sich „vieles von der Ausbeutung und Ungerechtigkeit der ursprünglichen Version mit einer postmodernen Ergänzung: Die Kolonisatoren (Vermögensverwalter, G.U.) vertreten nicht länger einzelne Nationen, sondern das internationale Kapital, und die ausgebeuteten Kolonien beinhalten in dieser Version auch die ‚freie Welt‘. Noch schlimmer ist, dass die Mehrzahl der Kolonisierten überhaupt nicht weiß, dass sie von einer Offshore-Elite ausgebeutet wird“. 

Geplünderte Staatskassen

Brooke Harrington merkt mit Recht an, dass beim Stichwort Steuerparadiese zumeist nur an die illegale, mindestens aber illegitime Bereicherung gedacht werde. Viel zu wenig werde beachtet, dass das zur Seite geschaffte Geld anderswo fehlt, in der Regel beim betroffenen Staat. Und diese Plünderung von Staatskassen habe durchaus einen spürbaren Effekt. Der wurde etwa für die USA schon vor 20 Jahren auf 15% beziffert. Was besagen soll, dass die normalen Bürger des Landes 15% höhere Steuerlast zu tragen hätten, weil Superreiche erfolgreich den Staat um hunderte Milliarden Dollar an Einnahmen prellten! Auf die Ausführungen von zwei Ökonomen verweisend, schreibt Harrington, dass heute „Vermögen nicht (entstehen), in dem Wert erzeugt wird, sondern indem Eliten mit einer Hand die staatliche Aufsicht sabotieren und mit der anderen die Staatskasse plündern“. Diese Eliten fühlten sich den Nationalstaaten nicht verpflichtet, vielmehr agierten sie wie eine herrenlose, globale Horde jenseits der Gesetze. Harrington spricht hier von einem „libertären Anarchismus“.

Wenn es stimmt, dass Verschwiegenheit und Geheimhaltung das A und O der Steuerparadiese sind, dann stellt sich die Frage, wie es Brooke Harrington gelang, an die wertvollen Informationen zu kommen. In der Tat nicht ganz einfach: Sie ließ sich mehrjährig zur Vermögensverwalterin ausbilden, um so Zugang zum Kreis der Eingeweihten zu bekommen!

Wer fürchtet, dass ein Buch über Geld und Finanzen trocken und öde ist, und dass es schwer zu lesen sei, wie es gerade für soziologische Texte beinahe sprichwörtlich ist, der liegt bei diesem Buch der Soziologin Brooke Harrington völlig daneben. Das Buch ist spannend, es ist flüssig geschrieben – „nur“ sein Inhalt ist schwer verdauliche Kost, denn auf fast jeder Seite begegnet einem hemmungslose Geldgier und Skrupellosigkeit. 

„Offshore. Wie Vermögensverwalter Reichtum tarnen und einen neuen Kolonialismus schaffen“ von Brooke Harrington ist im Campus Verlag, Frankfurt am Main, 2024 erschienen. Die Hardcover Ausgabe, 208 Seiten, kostet 26 Euro.
Gerald Ullrich, Jahrgang 1959, seit 2005 mit seiner Frau in Schwerin lebend, eher natur- als kulturbegeistert, aber wenn es um Politik und Gesellschaft geht, ist sein Interesse zumeist groß. Als Psychotherapeut gilt seine berufliche Aufmerksamkeit allerdings dem Einzelnen. Er betreibt mit seiner Frau auch einen eigenen Blog.

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