von Reinhard Wulfhorst
CD-Vorstellungen: Folge V
Johann Matthias Sperger, Sinfonien Nr. 21 g-Moll, Nr. 26 c-Moll, Nr. 34 D-Dur; l’arte del mondo, Werner Ehrhardt; deutsche harmonia mundi 2016
Johann Matthias Sperger, Streichquartette op. 1 Nr. 1 F-Dur, Nr. 2 A-Dur, Nr. 3 C-Dur; Mitglieder der Kammerakademie Potsdam; cpo 2021
Johann Matthias Sperger war längere Zeit ausschließlich als der führende Kontrabassist der Klassik und als Komponist für sein Instrument bekannt. Immerhin 18 teilweise höllisch schwere Konzerte für den Kontrabass hat er geschrieben. Erst allmählich wird entdeckt, dass er auch ein vorzüglicher Komponist für andere Besetzungen war. Deshalb habe ich für die heutige Folge dieses CD-Führers mit Musik aus Mecklenburg-Vorpommern keine Aufnahmen mit Kontrabasskonzerten ausgewählt. Ich möchte Sperger vielmehr mit seinen Sinfonien und Streichquartetten vorstellen.
Kontrabassist und Komponist in Ludwigslust
Sperger kam nach einer Ausbildung in Wien und nach Orchesterstationen im Burgenland und im heutigen Bratislava 1789 nach Ludwigslust an den Hof zu Mecklenburg-Schwerin. Dort war er bis zu seinem Tod im Jahr 1812 hoch geschätzter Musiker. Neben seinen rund 350 Kompositionen, die fast vollständig erhalten in der Landesbibliothek Schwerin liegen, hat er in Ludwigslust auch architektonische Spuren hinterlassen. Seiner maßgeblichen Initiative ist es zu verdanken, dass dicht am Schloss die bezaubernde kleine katholische Kirche St. Helena und St. Andreas entstand. So bekamen im protestantischen Mecklenburg auch die katholischen Musiker der Hofkapelle ein eigenes Gotteshaus.
„Wahrheit des Ausdrucks und ein edles Feuer“
Sperger hat 45 Sinfonien komponiert. Mehr also als Mozart, und seine Sinfonien auf der wärmstens zu empfehlenden CD brauchen keinen Vergleich mit denen des berühmten Kollegen zu scheuen. Die Aufnahme begeistert mich jedes Mal von neuem. Sie springt einen geradezu körperlich an, sobald man den Lautsprecher anstellt. Vor allem die beiden einzigen Sinfonien von Sperger in Moll sind furiose Vertreter des „Sturm und Drang“. Ein Zeitgenosse hat treffend über die Kompositionen von Sperger geschrieben, „daß sie Wahrheit des Ausdrucks und ein edles Feuer enthalten, und mit neuen Gedanken vollgepfropft“ seien.
Ein ganzes Orchester tanzt
Die überragende Interpretation von l’arte del mondo und Werner Ehrhardt setzt auf Kontraste: Dramatische Orchesterunisoni, virtuose Läufe in den Geigen, knackige Akkorde, fetzige Hörnerattacken und lustvoll herausgestellte Synkopen lösen sich mit wunderbar gesungenen Melodien ab. Bei den Menuetten – mal humorvoll, mal dramatisch – scheint ein ganzes Orchester zu tanzen. Die Aufnahme zeigt exemplarisch, welche interpretatorischen Möglichkeiten der Rückgriff auf das Instrumentarium der Entstehungszeit und eine historisch informierte Aufführungspraxis eröffnen. Erst so kommt zum Ausdruck, welche Leidenschaft dieser Musik innewohnt. In dieser Qualität wünscht man sich noch viel mehr Aufnahmen von Spergers Sinfonien.
Streichquartette: 3 aus 9
Sperger „kann“ nicht nur Sinfonie, sondern auch Streichquartett. Mit der Weltersteinspielung der drei Quartette op. 1 durch die Kammerakademie Potsdam sind wir in einer ganz anderen Welt als bei den Orchesterwerken: „Man hört vier […] Leute sich untereinander unterhalten.“ Bei diesem Goethe-Zitat habe ich das Attribut „vernünftig“ bewusst weggelassen. Vernünftig sind die vier Mitglieder der Kammerakademie insofern, als sie gründlichst über das Quartettspiel, diese Musik und deren (historisch informierte) Umsetzung nachgedacht haben. Aber „vernünftig“ beschreibt die Vorzüge ihrer Interpretation nur unvollkommen.
Dieses Sperger-Projekt begann mit einer denkwürdigen „Session“ des Ensembles. Vermittelt durch den „Sperger-Papst“ Klaus Trumpf hatte ich alle neun erhaltenen Streichquartette von Sperger zusammengetragen, und so spielten die Vier aus den vom Komponisten handgeschriebenen Noten sowie schlecht lesbaren und fehlerhaften Erstdrucken. Doch schon bei diesem Vom-Blatt-Spielen waren die vier Instrumentalisten von den Quartetten op. 1 begeistert und machten richtig Musik. Die Aufnahme für Deutschlandfunk Kultur ist dann auf der Grundlage einer Ausgabe der Edition Massonneau entstanden. Wie angekündigt, halte ich mich wegen dieser persönlichen Verbundenheit mit eigenen Bewertungen zurück und präsentiere Ihnen einige Zitate aus der Fachpresse.
Die Aufnahme – „ein großer Wurf“
Das Magazin „classic.com“ spricht von einer „grandiosen Qualität der Darbietungen“ und „einer in jeder Hinsicht geglückten Aufnahme“. Bei der Musik entdeckt der Kritiker unerwartete Aspekte: „Auch die gelegentlichen Bezüge Spergers zur türkischen Janitscharen-Musik verleihen den Stücken großartige Kolorite“. Er fasst seinen Eindruck so zusammen: „Herausgekommen ist ein großer Wurf.“
„Klassik heute“ beschreibt die Musik folgendermaßen: „Optimistisch-heiter sind die drei … Quartette, leichtfüßig und in den Ecksätzen temperamentvoll-spritzig … voller Serenadenseligkeit und in den Adagio-Sätzen voller anmutigen Melodien“, und zu der Interpretation lesen wir: „Was für ein überzeugendes, ja bewegendes Plädoyer für einen weniger bekannten Komponisten! Die vier Musiker …. widmen sich diesen Quartetten mit hörbarem Genuss und rasantem Schwung, sie spielen liebevoll-anteilnehmend in schwebender Leichtigkeit … und vor allem in perfekter partnerschaftlicher Harmonie. Das sprudelt nur so und singt unbeschwert dahin“.
Wie lautet also nach zwei kurzen Blicken auf die Sinfonien und Streichquartette Spergers die Antwort auf die oben im Titel gestellte Frage? Kontrabassistinnen und Kontrabassisten mögen es mir verzeihen: Für mich steht der großartige und noch viele Entdeckungen versprechende Komponist Johann Matthias Sperger im Vordergrund.
Lesetipp: Auch über Sperger gibt es nur sehr begrenzt frei zugängliche Informationen. Solange die im Umbruch befindliche Internationale J.M.Sperger-Gesellschaft „ihren“ Komponisten noch nicht umfangreicher präsentiert, sei zu Leben und Werk auf die online verfügbaren Vorworte zu den Notenausgaben verwiesen, die in der Edition Massonneau erschienen sind.