von Manja Wittman
Auch wenn mein 2. Buchtipp schon in fast allen Medien rezensiert, empfohlen und gepriesen wurde, möchte ich hier doch nicht darauf verzichten, denn er ist ein Highlight des Herbstes:
Daniela Krien ist in Mecklenburg geboren, lebt inzwischen in Leipzig und ist mittlerweile eine feste literarische Größe. Von der Longlist des diesjährigen Deutschen Buchpreises hat sie es leider nicht auf die Shortlist geschafft, aber die Leserinnen und Leser feiern sie nichtsdestotrotz. War bei Spence-Ash zuweilen eine melancholische Grundmelodie zu vernehmen, taucht man hier in die Geschichte einer bodenlosen Traurigkeit ein.
Linda hat ihre 17-jährige Tochter Sonja bei einem LKW-Unfall verloren und steht vor den Trümmern ihres einst erfüllten Lebens. Sie zieht sich alleine in ein heruntergekommenes Haus in einem abgelegenen Straßendorf weit hinter Leipzig zurück. Selbst ihr Mann Richard, der ganz anders trauert als sie, darf sie nur selten besuchen. So beginnt dieser Roman und entwickelt gleich eine solche Intensität, die mich einerseits gepackt, aber andererseits auch immer wieder hat pausieren lassen. Es war kaum auszuhalten, wie genau Daniela Krien den Schmerz ihrer Hauptfigur Linda nacherlebbar macht. Wie sie dieses existenzielle, nur von Moment-zu-Moment-Überleben beschreibt, ist sensationell.
Bald blitzen kleine, gute Momente auf, und nach und nach kämpft Linda sich aus dem Dunkel heraus und gewinnt ganz langsam wieder neuen Lebensmut. Die Natur, der zurückgelassene alte Hund mitsamt Hühnern der Vorbesitzerin und auch ein paar Menschen im Dorf tragen einiges dazu bei – nicht zu vergessen Richard, der sich wirklich einfühlsam um sie kümmert, aber dennoch andere Wege geht und bald eine neue Frau an seiner Seite hat.
Unterstützung hat Linda auch von Natascha, alleinerziehende Mutter der 18-jährigen autistischen Tochter Nine. Allerdings ist es eine herausfordernde Bekanntschaft. Natascha ist durch viele Härten des Lebens gegangen und findet, dass Linda sich doch freuen sollte, 17 schöne Jahre mit ihrer Tochter gehabt zu haben.
Es werden also viele große Themen bearbeitet: Verlust, Trauer, Loslassen, Überwinden von Leid, Fragen nach dem Sinn des Lebens, aber es werden keine ganz einfachen Lösungen angeboten. Daniela Krien, selbst Mutter einer schwerbehinderten 18-jährigen Tochter, sagte bei einer Lesung im Münchner Literaturhaus, dass ihrer Meinung nach Lebenssinn nicht aus einem selbst herauszuschöpfen sei: Es ginge nur über die Verbindung zu anderen Menschen.
Dies bringt sie auf eindringliche Weise in diesem Roman zum Ausdruck. Ein lang anhaltendes Leseerlebnis! Und wenn die Möglichkeit besteht, eine Lesung mit Daniela Krien zu besuchen, sollte man dies unbedingt tun. Wenn es bei diesem Roman nicht mehr klappt, dann hoffentlich beim nächsten.
„Mein drittes Leben“ von Daniela Krien ist im Diogenes Verlag erschienen. Die gebundene Ausgabe ist im August 2024 erschienen, hat 304 Seiten und kostet 26 Euro (ISBN 978-3-257-07305-8).
Manja Wittmann ist Bücher-Lotsin des Kulturkompass-MV und wird uns in alle möglichen Himmelsrichtungen literarischer Neuerscheinungen führen. Sie ist Buchhändlerin in München. Manja hat lange in der Film-und Fernsehbranche gearbeitet und wird uns beim Kulturkompass-MV auf ihre literarischen Favoriten hinweisen und spannende Sachbücher empfehlen. Sie kommt aus Schleswig-Holstein und da wundert es nicht, dass der Schwerpunkt auf Büchern liegt, die mit dem Meer zu tun haben oder von nord- bzw. ostdeutschen Autor*innen stammen.