von Reinhard Kuhlmann
„Mac… what?!“ war die rührende Nachfrage eines amerikanischen Freundes, dem ich Vorzüge und Perspektiven des nur gemessen an der Bevölkerungszahl kleinen deutschen Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommerns an der Ostseeküste schilderte. „Swing State?“ setzte er nach, um sein politisches Urteil zu schärfen, in differenziertem Wissen über die Welle des Populismus mit all seinen Gefahren für die liberale Demokratie. „Swing State Mecklenburg-Vorpommern“? Mehr als nur ein interessanter Gedanke, vielmehr Hoffnung und Perspektive zugleich.
Auch für entferntere Beobachter bietet das starke und stolze Bundesland in Deutschlands Norden Anlass für Bangen und Hoffen. Bangen über ein mögliches Fortwähren von tiefenwirksamen soziokulturellen Altlasten sowie von den Verlockungen einer Abhängigkeit von der Droge vermeintlich billiger Importe fossiler Energien. Hoffen auf die Fortsetzung erfolgreicher und nicht widerspruchsfreier Transformation und Entwicklung des Landes. Und die Potentiale sind da!
Bürgerbeteiligung – Ergänzung demokratischer Institutionen
Und hier beginnt der Ferndialog meines amerikanischen Freundes mit dem „MacPomm“- Gewächs Steffen Mau. In tiefgründiger Befundung mit empirischen Fundamenten hat Steffen Mau der Ostgesellschaft in all ihrer Widersprüchlichkeit einen Spiegel vorgehalten. Mehr und nachhaltige Formen offener Demokratie und Angebote der Bürgerbeteiligung seien zwar kein Allheilmittel, aber ein strategisch bedeutsamer Weg, dem Verdruss an der liberalen Demokratie besonders auch in der ostdeutschen Gesellschaft entgegenzuwirken. Und das gilt bei Weitem nicht nur in den östlichen Bundesländern! Auch und gerade wenn man der Auffassung ist, dass vor allem schlechtes Regieren den Populismus und den Rechtsextremismus befördert – und hier die Veränderung zunächst ansetzen muss –, gerade auch dann ist die Ergänzung der Institutionen parlamentarischer Demokratie mehr als nur bedenkenswert. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es so ein Beispiel gelebter Öffnung des Regierungshandelns zur politischen und gesellschaftlichen Vernunft direkter Bürgerbeteiligung.
Guter Rat war nicht teuer – der Zukunftsrat in Mecklenburg-Vorpommern
Die Landesregierung hatte in weiser Vernunft einen vollständig ehrenamtlichen „Zukunftsrat“ berufen, der unbehelligt von den Stürmen des Alltags und parteipolitischer Taktik aufgrund breiter Bürgerbeteiligung Analyse der Situation und Vorschläge für Maßnahmen auf dem Weg zu einem zukunftsfähigen Mecklenburg-Vorpommern unterbreiten sollte. Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Gewerkschaft, Politik, Bildung, Kultur und Sport gaben ihr Bestes.
Im März 2021 wurde das Gutachten „Unsere Zukunft ist jetzt – Für ein nachhaltiges, digitales und gemeinwohlorientiertes MV“ der Ministerpräsidentin übergeben. Schon 2020 unter den Bedingungen der Pandemie begonnen, weisen Analyse und Handlungsempfehlung weit darüber hinaus. Von Frau Schwesig wurden die Ergebnisse komplett und auf höchster Allgemeinheitsstufe im Politikersprech vereinnahmt. „Sehr konstruktive Ideen und Vorschläge“ seien herausgekommen, so in ihrer Pressemitteilung: Gewürdigt wird dann eine mögliche Vorreiterrolle Mecklenburg-Vorpommerns bei den erneuerbaren Energien. So werde ein Wasserstoffkraftwerk in Betrieb genommen und zeitnah eine Wasserstoff-Forschungsfabrik errichtet. So gut, so richtig. Ministerien und Kabinett würden sich mit den weiteren Ergebnissen befassen und ein Programm für Mecklenburg-Vorpommern für die nächsten 10 Jahre erarbeiten. Basta.
Die breit gefächerten Vorschläge eines fast schon beispielhaften Prozesses der Bürgerbeteiligung und damit der Unterstützung von Regierungshandeln verdienen höchsten Respekt – sie haben gerade unter dem politischen und gesellschaftlichen Aspekt einer tieferen Grundierung von Demokratie breiteste Unterstützung verdient. Heute, mehr als 3 Jahre nach der Übergabe des Dokuments an die Landesregierung, bleibt deren Versprechen: „Wir wollen die Ideen nicht in irgendeiner Schublade verschwinden lassen und nicht lange warten, denn die Zukunft beginnt jetzt.“ Gemeint war wohl der März 2021.
Im Rathaus von Siena bestaunen wir Prachtgemälde aus der Renaissance. Sie zeigen Allegorien der Guten und der Schlechten Regierung. Gute Regierung mehrt den Wohlstand wie die Freiheit wie die Gerechtigkeit unter den Menschen, wenn Regierungen den Menschen zuhören und ihnen auch aufs Maul schauen. Taktische Ignoranz und Beschwichtigung sind keine Alternativen. Und die fast schon verzweifelt erscheinenden Übungen zum puren Machterhalt einer Regierung jedenfalls sind im Kanon des „Guten Regierens“ nicht enthalten.
Allegorie vom guten Regieren, von Ambrosius Lorenzetti,
1338-1339 im Sale dei Nove, Palazzo Pubblico, Siena
Taugt Mecklenburg-Vorpommern zum „Swing State“ in Deutschland?
Ja. Bis zur Bundestagwahl 2025 ist noch Zeit. Bis zur nächsten Landtagswahl erst Recht. Den Regeln „guter Regierung“ folgen und Bürgerbeteiligung ernst nehmen. Und deren Ergebnisse nicht in der Bürokratie zerschreddern. Oder auf der Zeitachse zum Verschwinden bringen. Und das Regierungshandeln transparent an den Ergebnissen der Bürgerbeteiligung messen lassen. Das ist ein zentraler Widerspruch dieser Zeit: Die Strategien des puren Machterhalts erzeugen immer wieder das Gegenteil. Es zeigt sich ganz schnell – der Kaiser ist unter den Kleidern nackt. Der Machtverlust ist damit programmiert. Und die Hoffnung auf den „Swing State“ wird damit nicht größer. Und das ist keine Kleinigkeit. Gutes Regieren mit Perspektiven für die Menschen. Vor allem das schafft die Deiche gegen Populismus und Rechtsextremismus. Auf Staat und Gesellschaft in Mecklenburg-Vorpommern liegt eine große Hoffnung. Und eine große Verantwortung.