von Reinhard Wulfhorst
CD-Vorstellungen: Folge II
Friedrich Wilhelm Kücken, Romantische Lieder; Sophia Maeno (Mezzospran), Andreas Beinhauer (Bariton), Maša Novosel (Klavier); Rondeau Production/Deutschlandfunk Kultur 2024
Friedrich Wilhelm Kücken, Vergessene Werke für Männerchor; ffortissibros, Benedikt Kantert; Rondeau Production 2024
Friedrich Wilhelm Kücken – ist das nicht der Herr, dessen Büste vor dem Restaurant Friedrichs’ am südöstlichen Ufer des Schweriner Pfaffenteiches steht und dessen Schriftzug „Kücken-Stiftung“ lange Zeit an dem städtebaulich prominenten Gebäude zu sehen war? In der Tat: 1810 in Bleckede an der Elbe geboren, kam der 15jährige Friedrich Wilhelm zur musikalischen Ausbildung nach Schwerin, ging dann mit einem großherzoglichen Stipendium zum Kompositions- und Gesangsstudium nach Berlin, vervollkommnete seine musikalischen Kenntnisse in Wien und Paris und war zehn Jahre lang Hofkapellmeister in Stuttgart, um dann als einer der beliebtesten Liederkomponisten seiner Zeit wieder nach Schwerin zurückzukehren. Hier pflegte er seinen stadtbekannten Rosengarten vor dem Haus am Pfaffenteich, komponierte weiter und starb 1882.
Zwei CDs mit Musikerinnen und Musikern aus Schwerin
Lange Zeit war Kücken der große Unbekannte, von dem allenfalls sein Lied Ach, wie ist’s möglich dann einigermaßen geläufig war. Nun gibt es aber zwei CDs mit herausragenden, Schwerin eng verbundenen Musikerinnen und Musikern, die ausschließlich Werke von Kücken präsentieren. Bevor ich diese beiden CDs näher vorstelle, gebieten journalistische Standards eine Anmerkung: An diesen und einer ganzen Reihe der anderen ausgewählten CDs war ich unmittelbar beteiligt: durch die Vorbereitung des Notenmaterials mit meinem Notenverlag Edition Massonneau und/oder durch das Verfassen des Booklettextes, manchmal auch als Projektinitiator. Abgesehen davon, dass ich diesen persönlichen Bezug selbstverständlich jeweils offenlege, bewege ich mich mit meinen Empfehlungen auf gesichertem Terrain: Sie decken sich mit sehr positiven bis begeisterten Rezensionen in der nationalen und internationalen Fachpresse. Anstelle von meinen eigenen Bewertungen sollen deshalb einige Zitate aus diesen Rezensionen illustrieren, dass ich mich mit den Empfehlungen in guter Gesellschaft befinde.
Eingängige Melodien
Kücken machte keinen Hehl daraus, dass „ich bei meinen Compositionen besonders Rücksicht nehme […], für das große Publikum zu schreiben“. Sein Erfolgsrezept waren leichte und eingängige, teils volksliedhafte, immer höchst sangbare Melodien, wohlklingende Harmonien und eine einfache Form. Auch bei eindringlichen Kompositionen über den Tod wie Die Bergstimme nach Heinrich Heine wird man Momente der Ausweglosigkeit vergebens suchen. Wie es sich für einen tief in der Romantik verwurzelten Komponisten gehört, hat Kücken seine Vokalwerke vor allem den großen Themen Liebe, Natur und Glaube gewidmet. Daneben finden sich witzige Überraschungen, die von einem ausgeprägten, durchaus auch mal schrägen Humor des Komponisten zeugen.
Die Lieder – ein kostbarer Schatz
Auf beiden CDs ist selbstverständlich der Gassenhauer Ach, wie ist’s möglich dann vertreten. Die Lieder-CD spannt den Bogen – um nur einige Höhepunkte herauszugreifen – von Drei Worte, ausgelöst durch eine unter dramatischen Umständen gelöste Verlobung Kückens, über Die Lore-Ley, bei der Kücken für die Dramatik des Heine’schen Gedichts eine überzeugende Alternative zu der berühmten Fassung von Friedrich Silcher bietet, oder das Alemannische Lied, in dem der norddeutsche Komponist uns augenzwinkernd das Jodeln nahebringt, bis hin zu dem altersweisen Nun fängt es an zu dunkeln.
Julia Kaiser beginnt ihre Rezension dieser CD im FonoForum 6/2024 mit dem Ausruf „Welch kostbarer Schatz“, hebt hervor, wie „oft überraschend zupackend“ die beiden Stimmen interpretieren, und schließt so: „Diese Entwicklung [in den Liedern Kückens] leuchtet die Pianistin Maša Novosel wunderbar aus“. Sophia Maeno, zentrale Figur dieses mehrjährigen Kücken-Projektes und dem Schweriner Publikum als Solistin am Staatstheater (aktuell als Carmen) bestens bekannt, bekommt von Dr. Jürgen Schaarwächter in Klassik.com 5/2024 ein Sonderlob: ,,Die Schlichtheit ihrer Wiedergabe ist unmittelbar berührend, der Verzicht auf unnötige Äußerlichkeiten beeindruckend.“ Das CD-Cover ziert eine wunderbare Aufnahme des Schweriner Schlosses, die der Schweriner Graphiker Maik Gleitsmann gemacht hat. Denn Kücken war so eng und vielfältig wie wohl kein anderer Musiker mit dem im 19. Jahrhundert entstandenen Schweriner Residenzensemble und dessen bedeutendem kulturellen Leben verbunden. Passende Musik also zum jüngsten Weltkulturerbe.
Die Männerchöre – eine glänzende Interpretation
Auch wer bislang mit der Gattung des Männerchors nicht viel anfangen konnte, sollte sich der Kücken-CD der ffortissibros zuwenden. Denn: „Beides lohnt – Friedrich Wilhelm Kückens Lieder ebenso wie die Begegnung mit dem charmant tönenden jungen Männerchor“ (Dr. Matthias Lange, Klassik.com 8/2024). Zu den Werken lesen wir: „Kücken sprüht vor Charme und Witz, reichert den Tonsatz mit interessanten zweiten Ebenen an und … lässt uns gar an Schlager der Zwanziger denken“ (Jens Berger, Chorzeit. Das Vokalmagazin 9/2024). Und weiter: „Mit diesen Kleinoden heben die jungen Sänger nicht weniger als einen kleinen Musikschatz“ (Jan-Geert Wolff, pizzicato 4/2024). Die ffortissibros haben ihre sängerische Kinderstube im Schweriner Goethegymnasium gut genutzt und erfreuen sich spätestens seit dem glanzvollen Gewinn des Deutschen Chorwettbewerbs im letzten Jahr großer Aufmerksamkeit in der Fachwelt. Das Publikum ist sowieso begeistert – wie die standing ovations bei der Präsentation der Kücken-CD im ausverkauften Schweriner Staatstheater im Sommer bestätigt haben. Dem Chor gelingt auf dieser CD „eine glänzende Interpretation“ (Jens Berger). Auch hier ist ein gesonderter Hinweis auf das Cover am Platz: Der Titel „Liebes Kücken …“ nimmt auf einen wortspielerischen Brief Bezug, den Heinrich Heine an den mit ihm befreundeten Kücken in Paris schrieb.
Zugabe: Die Konzertouvertüre „Waldleben“
Noch ein Tipp für Rundfunk-Affine: NDR Kultur sendet ab und zu die mitreißende Konzertouvertüre „Waldleben“ von Kücken in einer vorzüglichen Interpretation der Mecklenburgischen Staatskapelle Schwerin unter der Leitung von Mark Rohde. Nicht verpassen!
Und hier noch ein Lesetipp: Die Literatur über Kücken ist schmal, denn das Interesse an diesem Komponisten beginnt sich erst wieder zu regen. Deshalb bleibt mir nur der Hinweis auf die mit einem Klick zu erreichenden Vorworte zu den Notenausgaben, die in der Edition Massonneau erschienen sind. Sie informieren ausführlich über Leben und Werk. Kücken-Lieder und Männerchöre.