„Ich als Irrwisch“- Elfriede Lohse-Wächtler

von Peter Scherrer

Unter dem Titel „Ich als Irrwisch“ präsentiert das Ernst-Barlach-Haus in Hamburg eine umfassende Retrospektive der Malerin Elfriede Lohse-Wächtler. Die Ausstellung wurde anlässlich ihres 125. Geburtstags konzipiert und sie zeigt annähernd 100 Werke aus 25 öffentlichen und privaten Sammlungen.

Elfriede Lohse-Wächtler gehört zu den bedeutenden kreativen Stimmen des frühen 20. Jahrhunderts. Ihr Leben war geprägt von künstlerischer Selbstermächtigung und persönlichen Herausforderungen. Bereits mit 16 Jahren verließ sie ihr Elternhaus und schloss sich der Dresdner Avantgarde an. Trotz widriger Lebensumstände und psychischer Probleme schuf sie kraftvolle und farbstarke Werke. Wie wichtig ihre Hamburger Zeit von 1925 bis 1931 für ihre künstlerische Entwicklung war, wird in der Ausstellung augenfällig. Sie trat 1926 dem Bund Hamburgischer Künstlerinnen und Kunstfreundinnen bei. 1928 beteiligte sie sich an Ausstellungen der Neuen Sachlichkeit und wurde im selben Jahr Mitglied der Hamburgischen Künstlerschaft.

Die Werke zeigen Lohse-Wächtlers Umgang mit wechselnden Maltechniken und sie spiegeln ihre thematische Bandbreite wider. Sie schuf Aquarelle, Zeichnungen und arbeitete mit Öl- und Pastellfarben. Atmosphärisch dichte Bordell- und Kneipenszenen, unkonventionelle Typenporträts und eindringliche Selbstbildnisse bieten Einblick in das künstlerische Schaffen der in Dresden geborenen Malerin.

Lohse-Wächtlers malte dynamisch und sie nutzte eine von Empathie getragene Bildsprache. Erdige Darstellungen des Landlebens, surreale Traumwelten, stimmungsvolle Hafenbilder bis hin zu expressiven Figurenzeichnungen. Und immer wieder stehen der Mensch und seine Gesichter im Zentrum der Aufmerksamkeit des Betrachters. 

Die Selbstbildnisse der Künstlerin nehmen in ihrem Œuvre eine besondere Stellung ein. Sie zeigen Lohse-Wächtler als virtuose Inszenatorin und erlauben den Einblick in ihre Selbstwahrnehmung. Diese Werke sind nicht nur künstlerisch beeindruckend, sondern auch Zeugnisse ihrer persönlichen Auseinandersetzung mit ihrem Lebens- und Überlebenskampf. Ihr Aquarell „Lissy“ ist Sinnbild der „starken Frau“ in der Weimarer Republik.

Elfriede Lohse-Wächtler gilt als eine der großen Malerinnen der Neuen Sachlichkeit. Ihr Name ist mit einer Kunstrichtung verbunden, die mit berühmten Malern wie beispielsweise Otto Dix, George Grosz, Christian Schad assoziiert ist. Die Hamburger Hommage an eine große Künstlerin ist gelungen und sie ist wichtig. Elfriede Lohse-Wächtler war eine Ausnahmekünstlerin. Die Nazis haben 1937 zahlreiche ihrer Werke als entartet etikettiert, konfisziert und vernichtet. Nur drei Jahre später haben sie auch die Künstlerin, den Menschen Elfriede Lohse-Wächtler, vernichtet. Sie wurde im Rahmen der nationalsozialistischen „Euthanasie – Massenmordaktionen T4“ ermordet.

Ihr Werk hat die Zeit überdauert und wird zunehmend als wichtiger Beitrag zur Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts anerkannt. Die aktuelle Ausstellung im Ernst-Barlach-Haus trägt dazu bei, Lohse-Wächtlers Bedeutung für die Kunstgeschichte weiter zu festigen und einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Zum Leben und Schaffen der Malerin gibt es eine sehr informative Broschüre, einen Katalog (224 Seiten, 19,50 Euro) und viel Informationsmaterial auf der Website des Ernst-Barlach-Hauses. Immer sonntags um 12 Uhr bietet das Ernst-Barlach-Haus in Hamburg Führungen durch die Ausstellung an. Mehr Infos unter: Ernst-Barlach-Haus

Text und Fotos: Peter Scherrer
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