In Folge III unserer Reihe „Perlen der Ostsee – eine musikalische Schatzsuche“ stellt Til Rohgalf den Musiker Andrzej Krzanowski und die Komponistin Grażyna Krzanowska vor.
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Der 1951 im polnischen Bielsko-Biała geborene Akkordeonist Andrzej Krzanoswki ist hierzulande weitgehend unbekannt. In seinem Heimatland gilt er als einer der bedeutendsten Komponisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Außergewöhnlich und innovativ war sein kompositorischer Ansatz, das Akkordeon als ernstzunehmendes Konzertinstrument zu etablieren. Fand das Akkordeon zuvor vor allem in volkstümlicher Musik Verwendung, schrieb Krzanowski Solostücke, Kammerstücke und Sinfonien explizit und teils exklusiv für dieses Instrument. Das machte ihn zu einem Pionier der zeitgenössischen Akkordeonmusik. Im Alter von nur 39 Jahren verstarb Andrzej Krzanowski. Gleich zwei Veröffentlichungen beschäftigten sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem Schaffen des Komponisten.
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Das junge polnische Akkordeon-Quintett Groomy Bellows („düstere (Akkordeon-) bälge”) spielte auf dem Album „Studies” (2024) die Werkreihe „Studien 1–5”, die in den Jahren 1973 bis 1976 entstanden, ein. Sie sind beispielhaft für Krzanowskis bahnbrechende Kompositionstechniken für das Akkordeon: Sowohl in Solobesetzung als auch mehrstimmig werden die klanglichen und spielerischen Grenzen des Instruments ausgelotet. Krzanowski verwendet ein großes dynamisches Spektrum: Zarte, kaum hörbare Passagen wechseln sich mit plötzlichen lauten Ausbrüchen ab. Es dominieren sphärisch schwebende, atonale Flächen, die sich langsam mäandernd entwickeln. Krzanowski arbeitet dabei sehr gekonnt mit dem großen klangfarblichen Spektrum des Akkordeons.
In Teilen klingen die Klangflächen wie die Oszillatoren aus der Frühzeit der analogen Synthesizer. Hierdurch entsteht eine interessante Melange, die durch den Einsatz erweiterter Spieltechniken (die Erzeugung eines Vibratos mithilfe des Balgs) eine außergewöhnliche Hörerfahrung bietet. Dramaturgische Spannungsbögen erzeugen auch die dynamischen Brüche und der wiederkehrende Einsatz rhythmischer Motive. Trotz der ungewöhnlichen Arrangements, der unkonventionellen Klangfarben und der Atonalität schafft Krzanowski mit den „Studien” ein Werk von großer emotionaler Tiefe und Anziehungskraft. Das Quintett der Groomy Bellows setzt diese komplexen und technisch hoch anspruchsvollen Kompositionen eindrucksvoll um.
Aufhorchen lässt „Studium I” mit einem Alleinstellungsmerkmal, denn es handelt sich hier um die Version für Akkordeon und Klavier. Die stärksten Momente dieser Aufnahme sind die klanglich stark reduzierten Teile. In ihnen erzeugen die jungen Musiker mit größter technischer Präzision in langsam aufbauenden, atonalen Flächen Spannung (wie u. a. im Mittelteil von Studium II oder bei Studium III). Sowohl die Vorwahl als auch die Umsetzung durch die Groomy Bellows bieten ein Hörerlebnis von außergewöhnlicher Schönheit.
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Die Musikerinnen des Antarja Quartet, 2009 in Krakow gegründet, wählten für ihr Album “KRZANOWSCY” Stücke für Streicher von Andrzej Krzanowski und seiner Frau Grażyna Krzanowska. Die 1945 im polnischen Wrocław geborene Komponistin und Musikpädagogin hat sich insbesondere mit ihrer Kammermusik einen Namen in der zeitgenössischen Musik ihrer Heimat gemacht. Die Tätigkeit als Lehrerin und Mentorin für die kommende Generation von Musiker*innen und Komponist*innen war ein bedeutender Teil ihrer Karriere. Bis zum Tod von Andrzej Krzanowski war die heute 79-jährige Grażyna Krzwanowska mit ihm verheiratet. Das Antarja Quartet spielt auf “KRZANOWSCY” die drei Sätze des 3. Streichquartetts von Andrzej Krzwanowski. Er schrieb dieses Spätwerk des 1985.
Eine klare kompositorische Parallele zeigt sich zu “Studies”. Auch hier arbeitet Krzwanowski exzessiv mit Klangfarben und lotet das klangliche Spektrum der Streichinstrumente aus. Erweiterte Spieltechniken im Zusammenspiel mit atonalen Tonfolgen kommen insbesondere im zweiten Teil des 1. Satzes (“Animato con passione”) zum Einsatz. Hier zeigt sich erneut die dynamische Bandbreite in Krzwanowskis Musik. Im Verlauf des 2. Satzes (“Animato con bravura”) ist hörbar, wie Krzwanowski seine späteren Kompositionen um tonale Motive erweitert. Mal lyrisch, mal elegisch geben sie der Musik eine neue Wendung. Dieses Moment entfaltet sich noch stärker im dritten Satz (“Moderato”).
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Die übrigen vier Stücke auf der CD stammen aus der Feder von Grazyna Krzanowska. Nach anfänglicher Unruhe entfalten sich in “Adagietto” (1972) langsam, fließende Melodien. Wiederholt erzeugen dissonante Motive ein temporäres Spannungsfeld. Krzanowska arbeitet oft mit einzelnen und sparsam gesetzten Tönen und Klängen, ebenso mit ungewöhnlichen Klangfarben und Spielweisen.
Voll Fragilität und Ruhe beginnt das “String Quartet No. 2” (1979). Langsam, zunächst kaum hörbar, tauchen aus den einzelnen Pizzicato-Tönen sphärische Streicherflächen auf. Tempo und Takt wirken wie aufgebrochen. Es folgt ein energetischer Ausbruch, um in einen leisen, elegischen Teil überzugehen, der gegen Ende des Werks noch einmal dynamisch wird.
Mit ähnlichen Stilmitteln arbeitet Krzanowska auch beim “String Quartet No. 3” (1985). Das Werk ist noch transparenter, unterschiedliche Klangfarben werden noch subtiler und vielseitiger eingesetzt. Einige Instrumente erklingen immer wieder einzeln, was der Musik eine besondere Fragilität verleiht. Krzanowska setzt hier dynamische Ausbrüche fließender und sparsamer ein. Das dritte Streichquartett ist zum größeren Teil atonal. Die ausbleibende Auflösung verleiht dem Stück eine suchende Unruhe, die beim Hören eine ganz eigene Spannung erzeugt. Es ist für mich das stärkste der vier hier vorgetragenen Werke Krzanowskas.
Das Antarja Quartet spielt die komplexe Musik der beiden Komponist*innen mit großer technischer Präzision und dennoch hoch emotional. Die Gegenüberstellung der Werke der beiden Komponist*innen ist gelungen, es entsteht ein empfehlenswertes, sehr organisches Hörerlebnis.
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