Welttheater. Weltschmierentheater. 

Im Theater der Wirklichkeit steht ein atemberaubendes Stück auf dem Spielplan. Reinhard Kuhlmann hat hingeschaut und zugehört.

Wahrhaft gelungen ist dieser Auftakt zum ersten Welttheatertreffen nach dem Epochenbruch! Wo doch dieser Epochenbruch selbst die Zeitenwende in den Schatten stellt. Gelungene Inszenierung, beste Dramaturgie, herausragende Darsteller, exzeptioneller Ort! Zwar verfehlt das Stück die Tiefe von Dantes „Göttlicher Komödie“, Inferno und Purgatorio sind erkennbar, aber das Paradiso fehlt zur Gänze. Ein Schelm, der Böses dabei denkt! Aber dennoch: gelungener Auftakt! 

Da treffen sich Schuft und Schurke im orientalischen Märchenland, nur um die Welt zu retten! Der Schurke: Angriffskrieger und Zerstörer einer historischen Friedensordnung, der Schuft: wortbrüchiger Immobilien-Dealer und Chef einer Weltmacht. Das Konzept von „Deal und Dollars“ trifft auf neoimperialistischen Großmachtfuror – ein spannungsgeladener dramaturgischer Kniff! Ein gelungener Theatercoup, ganz ohne Blitz, Donner und Gewitter, dafür aber im Märchenmorgenland. 
Dieses Theatertreffen sollte Schule machen. 


Von Opfern, Bedrohten oder Getöteten war keine Rede. Und keine Spur. Nicht am Tisch, nicht unterm Tisch, nicht am Katzentisch. Warum auch; hätten die Dramaturgie nur gestört. Butscha, die Kriegsverbrechen, die Tötung von Zivilisten, die Zerstörung der Infrastruktur – das gehört wahrlich nicht ins Theater. Frieden und Interessenausgleich zwischen den Großen, das ist das Gebot der Stunde. Auch über die Köpfe der Opfer, der Beteiligten hinweg ein kluges dramaturgisches Prinzip, beschworen im gelungenen Bühnenbild „Über die Köpfe hinweg!”. Nun ja, die Opfer passten nicht ins Bild, Angreifer sollte es nicht geben.


Dafür überzeugte aber der grandiose Regieeinfall, weit vor den Verhandlungen bereits die Trophäen des Sieges zu überreichen. Sowas hat zwar in verantwortlichen Verhandlungen bestenfalls im Unterwerfungsmodus eine gewisse Berechtigung, aber im Welttheater hat es einen gewissen Pfiff. 
Das war klug inszeniert – und kommt den selbsternannten Machern entgegen. Sie reden miteinander und über andere: Wenn das kein Sieg für beide Seiten ist. Ein gewisses Moment der Spannung bleibt erhalten: Noch haben die Matadore die Bühne nicht betreten. Dieser Knalleffekt einer Weltenlösung steht uns noch bevor. Eine durch und durch spannungsvolle Inszenierung!


Auch die Regie war formidabel. Laut Dramaturgie war ein gewisser „Gott” dafür verantwortlich. Gute Idee! Zwei Gottesfürchtige, ein Evangelikaler, tief im Glauben an sich selbst, an MAGA und die evangelikale Errettungsbewegung auf der einen Seite, ein Orthodoxer, tief im Glauben an sich selbst, Großrussland und die orthodoxe Kirche, treffen aufeinander. Eine kluge dramaturgische Idee! 
Sie retten die Welt; und sich selbst. Vor dem Untergang.

Und das Ende? Der Schuft findet den Aggressionskrieg letztlich nicht wirklich wichtig. Sei‘s drum. Es gibt wichtigere Dinge zu tun. Mit Deals und Dollars arbeitet sich der Schuft zu einem Deal zur Rüstungsbegrenzung bei Atomwaffen unter Einschluss Chinas voran. Der Friedensnobelpreis ist es ihm wert. Der Schurke erreicht seine Kriegsziele als Zwischenziele. Großrussland ist ein Stückchen näher gerückt. Die Ukraine ist wehrlos und destabilisiert. Sein Interessengebiet reicht zunächst bis an die heutige deutsche Ostgrenze. Aufrüstung und Kriegsvorbereitung laufen auf Hochtouren.

Und da war noch was. Ganz sicher eine Petitesse. Man hätte es nicht besser inszenieren können. 27 Zwerge auf dem Hühnerhof! Kakophonie und Chaos, Hilflosigkeit, Empörung und Uneinigkeit. Das war brillant ausgeführt!! Vielleicht ein wenig überzogen, denn so was gibt es ja gar nicht. Und Europa? Hat nur noch sich selbst. Der Schurke will es unter Einsatz aller Mittel in den Euroasiatischen Raum integrieren. Entrechtung und Unterdrückung erzwingen Wohlverhalten. Der Schuft schwächt die europäische Integration um nahezu jeden Preis. Europa ist als kolonialisierter Raum für seine Hightech-Milliardäre nützlich.


Aber das ist das Thema der nächsten Weltpremiere, wieder in der Reihe „Welttheater. Weltschmierentheater“. Und noch eins: Wer Angst hat – sowohl vor dem Schurken wie vor dem Schuft – der hat schon verloren. Um bei Dante zu bleiben: Selbst ein Hauch von irdischem „Paradiso“ ist von keinem der beiden zu erwarten.

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Reinhard Kuhlmann, IG Metall und SPD-Mitglied, ehemals: Vorstand und Arbeitsdirektor ThyssenKrupp Marine Systems, CEO Hellenic Shipyards, Generalsekretär Europäischer Metallgewerkschaftsbund, IG Metall – Grundsatzabteilung und Hans Böckler Stiftung – Forschungsförderung.
Fotos: Dante Alighieri Statue in Verona, @Peter Scherrer

 

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