von Gerald Ullrich
Schon in Trumps erster Amtszeit,mehr noch seit seiner Wiederwahl im November 2024 wird deutlich, dass sich die Machtstrukturen der westlichen Welt und insbesondere in den USA auflösen. Was das Neue ist, das zum Vorschein kommt, ist allerdings noch nicht klar. Zeitdiagnosen haben daher Konjunktur und bedienen sich oftmals markanter Begriffe. Drei davon fokussieren auf unterschiedliche Facetten der politischen Verschiebungen und lohnen, vorgestellt zu werden.
Der neue Obskurantismus – Gegenaufklärung
Den ersten Begriff, Neuer Obskurantismus, bringt die Historikerin und Publizistin Anne Applebaum ein, die spätestens seit ihrer Auszeichnung mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels vom letzten Jahr auch hierzulande gut bekannt ist. In ihrem Beitrag mit dem Titel Die neuen Rasputins, der im Februar in The Atlantic erscheint (und in ihrem Blog auf Substack schon beschrieben ist), fokussiert sie auf die atemberaubende Melange von antidemokratischen, esoterischen, antiwissenschaftlichen, und libertären Strömungen in den (rechts-) populistischen Bewegungen der Gegenwart. Diese sieht sie sowohl in den USA, als auch z.B. in Ungarn, oder auch bei dem kürzlich mit Hilfe von Manipulationen durch Russland gewählten Rumänen Călin Georgescu am Werke.
Kennzeichnend für diese politischen „Eliten“ (in Abgrenzung auch zu konservativen Positionen, als deren Vertreter sich die neuen aufstrebenden Eliten gerne ausgäben) sei die Auflösung und Abschaffung wesentlicher Grundwerte, auf die eine funktionierende Demokratie angewiesen ist. Stattdessen entstehe etwas ganz anderes: „eine Gesellschaft, in der Aberglaube Vernunft und Logik besiegt, Transparenz verschwindet und die schändlichen Handlungen der politischen Führer hinter einer Wolke aus Unsinn und Ablenkung verborgen bleiben. In einer Welt, in der nur Charisma zählt, gibt es keine Gewaltenteilung, keine Rechtsstaatlichkeit, in einer Welt, in der Emotionen die Vernunft besiegen – nur eine Lücke, die jeder mit einer schockierenden und fesselnden Geschichte füllen kann“ (eigene Übersetzung).
Die Betrachtungen von Applebaum sind eher global ausgerichtet in dem Sinne, dass sie sich auf erfolgreiche populistische Strömungen der Gegenwart beziehen. Demgegenüber sind die beiden folgenden Begriffe auf politische Prozesse in den USA bezogen (die aber natürlich globale Auswirkungen haben können oder werden).
Broligarchie
Mit dem Begriff der Broligarchie kennzeichnet die amerikanische Soziologin Elisabeth Brooke Harrington eine Machtstruktur durch Tech-Magnaten. Wissenschaftlich hat sie sich auf die Machenschaften der Superreichen spezialisiert und dazu im vergangenen Jahr ein auf Deutsch erhältliches Buch veröffentlicht.
Broligarchie sieht sie als Sonderfall der Oligarchie, was Herrschaft durch Wenige bedeutet. Der Sonderfall der Broligarchie bestehe darin, dass diese Wenigen nicht nur ihre Macht (überwiegend) aus dem Tech-Bereich gewonnen hätten, sondern auch gemeinsame (libertäre) Grundüberzeugungen teilten, wie sie in einem soeben in den Blättern für Deutsche und Internationale Politik veröffentlichten und in The Atlantic erschienenen Artikel hervorhebt. Dazu gehören eine „trotzige Ablehnung jeglicher Beschränkung und jeglicher Verpflichtung gegenüber den Gesellschaften, die sie reich gemacht haben“ ebenso wie eine „politische Vision“, die darauf abzielt, „das Nationalstaatensystem weltweit zu untergraben“, nicht zuletzt durch Schwächung des Dollars vermittels Kryptowährung. „Den Dollar zu untergraben, könnte den Reichtum der Broligarchen steigern, da sie ein beträchtliches Vermögen in Kryptowährungen halten, würde aber die Vereinigten Staaten schwächen und wahrscheinlich die Weltwirtschaft destabilisieren“.
Trumpomuskovia
Der umständlich anmutende, dritte Begriff wurde durch den namhaften amerikanischen Historiker Timothy Snyder in einem Beitrag auf Substack ins Spiel gebracht. Snyder ist unter anderem durch seine Bücher Wege in die Unfreiheit und Über Tyrannei einem breiten Lesepublikum bekannt geworden. Als Historiker mit einem fachlichen Schwerpunkt auf Osteuropa und den Holocaust hat er auch wiederholt und dezidiert Partei ergriffen im Streit um die politische Einordnung des russischen Krieges gegen die Ukraine.
Sein aktueller Beitrag fokussiert auf vier aus der Geschichte bekannte Konstellationen und Ereignisse (1790; 1860; 1930; 1990). Snyder betrachtet sie als Vorbilder für das, was sich in den USA unter Trump weiter entwickeln könnte. „Die Geschichte wiederholt sich nicht“, sagt Snyder explizit, aber sie könnte gewissermaßen Anhaltspunkte liefern, um das sich in der Gegenwart abzeichnende Zukünftige besser (oder rascher) zu erkennen.
Hier kann nicht näher auf die historischen Bezüge eingegangen werden, die Snyder in seinem (frei zugänglichen) Text aufzeigt. In einem nachfolgenden Beitrag begründet er allerdings noch einmal die Wahl seines umständlichen Begriffs. Diese Begründung macht hinlänglich deutlich, wie Snyder die Lage einschätzt:
- Der Begriff lässt mit Trump und Musk die beiden in seinen Augen zentralen Player der US-amerikanischen Gegenwart anklingen.
- Trump betrachtet er dabei, ähnlich wie die bereits erwähnte Brook Harrington, gewissermaßen als Instrument oder Medium für die libertäre Agenda von Musk und seinen Gesinnungsgenossen (die für ihn die eigentlichen Treiber sind).
- Der Teil „Muskovia“ in Trumpomuskovia verweist nicht nur auf Musk, dessen Name darin vollständig enthalten ist, sondern Muskovia gelte auch als eine frühere Bezeichnung für Russland. Und den Bezug auf Moskau/Russland gelte es unbedingt im Blick zu halten, wenn es um die aktuellen Player in den USA geht. Für Snyder liegt es auf der Hand, dass es eine wohlwollende Achse zwischen den amerikanischen Oligarchen (bzw. nach Brooke Harrrington: Broligarchen) und dem oligarchischen Russland unter Putin gibt. Snyder sieht es als sehr wahrscheinlich an, dass die Trump-Administration zur Stützung und Stabilisierung Putins (Herrschaft über Russland) führen oder beitragen werde.
oo
Meine Meinung
Alle drei Autoren sehen die Demokratie im Kern gefährdet. Das ist kein Zufall, denn Superreichtum und Demokratie vertragen sich nicht von Natur aus. Immerhin könnte die Mehrheit auf die Idee kommen, die Vermögenden zu schröpfen. Das liegt in Zeiten einer auseinander driftenden Reichtumsschere umso mehr auf der Hand – und lässt die wirklich Reichen von Anderem träumen als von der (Verteidigung der) Demokratie.
![](https://www.kulturkompass-mv.de/wp-content/uploads/2024/10/GeraldUllrich-829x1024.jpg)