Blick in die internationale Presse
Von Gerald Ullrich
In der New York Times schrieb der vielfach ausgezeichnete amerikanische Publizist Thomas L. Friedman kürzlich einen denkwürdigen Beitrag an die Adresse der ab Januar tätigen Trump-Administration. Dieser Artikel bietet auch hiesigen Lesern einiges zum Nachdenken.
Das Schwächste des Artikels ist der vor allem Aufmerksamkeit heischende Titel, nämlich, dass das ramponierte Verhältnis zwischen den beiden Supermächten China und USA mit Elon Musk und Taylor Swift gelöst (resolved) werden könne. Wie das?
Die beiden weltweit Prominenten stehen für ein „Paradigma“, das aus mehr Musk für die USA und mehr Swift für China bestehen sollte. Genauer: Friedman befürwortet ausdrücklich hohe Zölle zum Schutz der USA vor den billigeren (und besseren!) Produkten aus China. Dieser Schutz ist als eine Art Atempause für die alte Supermacht gedacht ist, die sie zur wirtschaftlichen „Erholung“ nutzen muss, um viele Elon Musks zu finden und zu fördern. In derselben Zeit soll sich das eigentlich vor Kraft strotzende China Luft zur eigenen, ebenfalls dringend nötigen Weiterentwicklung verschaffen, um den eigenen kulturellen Raum mit mehr Leben füllen, namentlich den Bedürfnissen der riesigen Bevölkerung nach kulturellem Konsum und Spaß, für die Taylor Swift im Text von Friedman paradigmatisch steht, einen Raum zu geben. Damit würde in China sowohl gesellschaftliche als auch wirtschaftliche Weiterentwicklung ermöglicht (Binnenkonsum, der bislang fast brachliegt). Der Hunger nach Konsum und Spaß in China wird von Friedman nicht zufällig mit Taylor Swift in Verbindung gebracht: Ihr „Lover“ Album von 2019 hätte dort innerhalb von nur einer Woche nach dem Erscheinen über eine Millionen Verkäufe (stream, downloads, Verkäufe kombiniert) erzielt.
Mit der Kettensäge zur Zerkleinerung der US-Bürokratie
Die USA im Gegenzug könnten und müssten dringend von einer Art Elon Musk Frischzellenkur profitieren, weil er der Einzige sei, der dem ökonomisch und unternehmerisch pulsierenden China derzeit überhaupt das Wasser reichen könne. Laut Friedman sei es daher auch ein Perlen vor die Säue werfen, wenn jemand vom Schlage Musk, den er als Unternehmer bewundert, aber für ihn als politische Person wenig übrig hat, wenn also ein Unternehmer-Held wie Musk in der zukünftigen Trump-Administration als Kettensäge zur Zerkleinerung der US-Bürokratie im neu geschaffenen „Department of Government Efficiency“ eingesetzt (bzw. verplempert) würde. Stattdessen werde Elon Musk, so Friedman weiter, als Pulsgeber eines dringend zu schaffenden „Do good Engineering“-Departments benötigt und er sei dort auch am richtigen Platz.
Was den Artikel von Friedman auch für uns lesenswert und nachdenklich stimmend macht, ist die brillant geschriebene, fast als Kulturschock daherkommende Faszination über die unglaubliche Dynamik und Leistungsfähigkeit des heutigen China. Dieses Land habe, ähnlich wie die USA nach dem Sputnik-Schock, aufgrund der unerwarteten Feindseligkeiten der USA gegen China unter der ersten Trump-Regierung in einer unfassbaren Weise die eigenen Kräfte gesteigert, und China stelle wirtschaftlich inzwischen alle anderen Nationen, einschließlich der USA, in den Schatten.
Die Werkbank der Welt
Was die atemberaubende Entfesselung der eigenen Produktionskräfte anbetrifft, bringt Friedman einige griffige Beispiele, und hier kommt auch seine journalistische Begabung voll zum Tragen. Anhand von bloßen Zahlen, die Friedman aus einem Blogbeitrag von Noah Smith übernimmt, bekommt man von der Dynamik und Machtstellung bereits eine Ahnung. So hätten die USA mit ihren diversen Verbündeten in Asien, Europa und Lateinamerika im Jahr 2000 für einen überwältigenden Anteil an der globalen Industrieproduktion gesorgt, während China auf ganze 6,5 % gekommen sei. Für 2030 könne man hingegen anhand von Daten der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung davon ausgehen, dass China für 45 % der weltweiten Produktion stehen werde – und damit die USA (inklusive all ihrer Verbündeten) eingeholt oder sogar überholt haben werde. Eine vergleichbare Dominanz einer einzelnen Nation hätte es laut dem zitierten Noah Smith in der Menschheitsgeschichte erst zweimal gegeben, nämlich durch Großbritannien zu Beginn des Zeitalters der Industriellen Revolution und durch die USA unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg.
Gigantisches Wachstum
Um es anschaulicher zu machen, gibt Friedman einige atemberaubende Beispiele. So hätte am Ende von Trumps letzter Amtszeit die Nettokreditaufnahme chinesischer Banken an die heimische Industrie bei 83 Milliarden Dollar gelegen. „Im vergangenen Jahr waren es nach Angaben der People’s Bank of China 670 Milliarden Dollar. Das ist kein Tippfehler.“ Oder: „In dem Bestreben, seinen großen Bestand an Autos zu exportieren, hat China mit dem Bau einer Flotte von 170 Schiffen begonnen, die jeweils mehrere tausend Autos über den Ozean transportieren können. Vor der Covid-19-Pandemie lieferten die Werften der Welt nur vier solcher Schiffe pro Jahr. Auch das ist kein Tippfehler“.
Friedman berichtet auch von „dunklen Fabriken“, die er bei seinem Besuch in China kennengelernt habe. Die seien nicht etwa dunkel, weil sie unbeleuchtet brachlägen oder geheim gehalten würden. Nein, sie produzieren vollautomatisiert im Dunkeln. Licht wird nur für kurze Zeit angemacht und benötigt, wenn Menschen (Ingenieure) doch noch gebraucht würden, um nach den Maschinen zu sehen. Es gibt noch viele weitere wirkmächtige Bilder, die Friedman in seinem Beitrag entfaltet und an denen seine journalistische Eleganz und Kompetenz abgelesen werden.
Meine Meinung:
Der Text ist ein Lesegenuss und dieser Beitrag nur ein Appetitanreger. Die Essenz seiner Botschaft dürfte aber schon deutlich geworden sein.
Wenn die politische Opposition in Deutschland das Schwächeln der heimischen Automobilindustrie mit einer angeblich zu strengen Politik der „Ampelregierung“ ursächlich in Verbindung bringt, namentlich den Vorgaben von Habeck und den GRÜNEN, so ist das nicht nur einfach zu kurz gesprungen, sondern es macht auf erschreckende Weise deutlich, wie wenig die hiesige politische Elite bislang überhaupt von der Dimension der ökonomischen Krise und Herausforderung, vor der in Wahrheit die Welt bzw. der globale Kapitalismus steht, begriffen hat.
Kurz- und mittelfristig, ist zu erwarten, dass die drastische Zunahme wirtschaftlicher Krisenzeichen in den EU-Ländern genügend „Druck im Kessel“ erzeugen wird, den Erregungskünstler à la AfD oder BSW beständig anzuheizen wissen, sodass ein Kollaps der politischen Strukturen nicht mehr ausgeschlossen ist. Wie Zusammenbrüche der Zivilisation aussehen können, wissen wir gerade in Deutschland durch unsere Geschichte, und es wird uns im Übrigen in diversen Krisenherden um uns herum fortwährend vorgeführt.
(Titelfoto:kalhh/pixabay)
Artikel aus: The New York Times von Thomas L. Friedman: How Elon Musk und Taylor Swift Can Resolve US-China Relations. Erschienen am 17.12.2024.
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