„Connectedness“ – Alles und Alle sind mit Allem verbunden!

Der Schweriner Kunstverein zeigt eine Ausstellung über die Interdependenzen von Mensch, Natur und Technik. Til Rohgalf hat sich für den Kulturkompass-MV die Arbeiten angeschaut. 

Die Beziehungen zwischen Natur, Technik und menschlicher Existenz sind komplex und oft konfliktreich. In den Räumen des ehemaligen E-Werks setzen sich die Künstler Malte Bartsch, Rune Bosse und Dominik Styk kritisch mit dem hegemonialen Anspruch des Menschen auseinander. Auch die ausbeuterische Nutzung natürlicher und endlicher Ressourcen beschäftigt die Künstler. Der Titel „Connectedness“ (auf Deutsch „Verbundenheit“) verweist dabei auf die tiefgreifende, gegenseitige Abhängigkeit aller Lebensformen. Das Ziel, den reduktionistischen Blick auf das Nichtmenschliche als nutzbare Ressource zu überwinden, vereint die ausgestellten künstlerischen Arbeiten.

Malte Bartsch (*1984) zeigt in seiner Skulpturenreihe Agave I–III (2021) die Spannung zwischen biologischer Vergänglichkeit und der Langlebigkeit industrieller Produkte auf. Dazu nutzt er die Blüte der Agave americana, einer Pflanze, die nach Jahren des Wachstums nur ein einziges Mal blüht, um dann abzusterben. Diesen flüchtigen Moment gießt er in Aluminium, ein Material, das Dauerhaftigkeit symbolisiert. Monumental stehen diese drei Skulpturen als Blickfänge mitten in zwei der Ausstellungsräume. Durch ihre Aluminiumhülle wirken die Bäume denaturiert, ihrer Natürlichkeit enthoben. Biologische Endlichkeit und industrielle Unsterblichkeit sind hier paradox vereint.

Ur-Pflanze von Rune Bosse, 2024 (Foto: ©Fred Dott)

Mit dem Prozess der Denaturierung setzt sich auch der dänische Künstler Rune Bosse (*1987) auseinander. In seiner Serie „Plant Memories I“ (2024) konserviert er verschiedene Blumen in Chlor. Dadurch verblassen im Lauf der Ausstellungszeit die individuellen Merkmale der Pflanzen. Die Pflanzen nehmen durch den menschlichen Eingriff einen fast universellen Charakter an. Bosse ließ sich dabei von Goethes Konzept der „Urpflanze“ inspirieren. Mit diesem verband sich die naturwissenschaftliche Erwartung, eine Pflanze zu finden, die dem Archetypus einer Blütenpflanze entspricht. Menschlicher Drang zur Systematisierung und irreduzible Vielfalt der Natur stehen so in einem Spannungsverhältnis. Dieses greift Bosse auch in seiner Bilderserie „Skyggeplante“ (2024) auf. Sie zeigt digital bearbeitete Collagen der von Chlor gebleichten Pflanzen, die eine potenziell unendliche Vielfalt individueller Pflanzenstrukturen ermöglicht.

Naked Roots von Dominik Styk, 2024 (Foto: ©Fred Dott)

Das individuelle Wachstum von Pflanzen, das die Standardisierung in der industriellen Landwirtschaft konterkariert, thematisiert Dominik Styk (*1996) in seiner Serie „Naked Roots“ (2024). Hierzu nutzt er eine mit Wurzeln durchzogene Plane, wie sie für Bewässerungssysteme verwendet wird. Indem er sie umgedreht ausstellt, macht er den sonst verborgenen unterirdischen Wachstumsprozess sichtbar. Alle Versuche, Pflanzen in kommerziellen Landwirtschaftsbetrieben auf einheitliche Größe und Form zu züchten, werden so als reduktionistische Sichtweisen auf natürliche Prozesse entlarvt: Die individuellen Wachstumsformen der Wurzeln konterkarieren die menschlich angestrebte Standardisierung und Effizienzorientierung offenkundig.

Aus „Insulon“ von Dominik Styks, 2022 (Foto: ©Fred Dott)

Einen anderen thematischen Schwerpunkt behandelt Dominik Styks Arbeit „Insulon“ (2022). Styk stellt dabei ausrangierte Isolatoren der Deutschen Bahn senkrecht auf. Sie erinnern an Monumente der Megalithkultur und nehmen einen großen Teil des dritten Ausstellungsraumes ein. Von ihnen lassen sich auch religiöse, kultische und metaphysische Assoziationen ableiten. In ihrer atypischen Anordnung verbinden diese Industrieartefakte scheinbar Erde und Kosmos – eine andere Form der „Connectedness“ wird so angedeutet.

Mit dem Kosmos beschäftigt sich auch Malte Bartsch in seiner Teilserie „Europa (Jupiter 2)“ (2024), „Triton“ (2021) und „Oberon“ (2021). Inhalt dieser sind die über 200 entdeckten Monde des Sonnensystems, die sich in einem komplexen und noch unzureichend erforschten Gleichgewicht befinden. Dieses Gleichgewicht ist bedeutend für das Leben auf der Erde. Es stabilisiert die Rotationsachse unseres Planeten und reguliert so das Klima und die Gezeiten, was langfristig lebensfreundliche Bedingungen ermöglicht.

Europa (Jupiter 2) von Malte Bartsch, 2024, (Foto: ©Fred Dott)

Die digital gemalten Monde rotieren in Bartschs Serie auf LED-Panels in ihrer jeweils natürlichen Rotationsgeschwindigkeit. Die LED-Panels werden so aus ihrem kurzlebigen, für Werbezwecke dienenden Nutzungskontext gelöst. Die kaum wahrnehmbaren Rotationen der digitalen Monde erfordern dagegen eine achtsame Wahrnehmung.

Sowohl Bartschs Mondserie als auch Styks megalithische Isolatoren lassen ethische Implikationen zu: Der Mensch als kleiner Teil eines fragil arbeitenden Systems ist auch für dessen Erhalt mitverantwortlich. 

Die Kuratorin der Ausstellung „Connectedness“, Hendrike Nagel, überzeugt die Besucher*innen mit einer klugen Künstlerauswahl und mit einer ästhetisch wie dramaturgisch ansprechenden Aufteilung der Ausstellungsräume. Die Objekte fügen sich organisch in die Räumlichkeiten des E-Werks ein. Dabei nutzt Hendrike Nagel die Räume auch in ihrer vertikalen Größe. Der industrielle Charme des E-Werks rahmt gekonnt die Themenschwerpunkte der ausgestellten Werke. Die Schau wird durch einen ausführlichen und durchdachten Ausstellungstext begleitet. Punktuell hätte hier eine stärkere interpretatorische Zurückhaltung einen offeneren Besucher*innenblick ermöglicht.

Curator Tour & After Work Drinks (mit Anmeldung): Freitag, 20. Dezember 2024, 17 Uhr

Eine sehr lohnenswerte Ausstellung die noch bis zum 5. Januar 2025 zu sehen ist. Geöffnet ist das E-Werk, Spieltordamm 1, mittwochs bis sonntags jeweils von 15 bis 18 Uhr. (Titelfoto: ©Fred Dott)

Til Rohgalf studierte Sonderpädagogik, Philosophie und Geschichte (M.A.), er ist im Schuldienst tätig, musikbegeistert und musikalisch aktiv. Ihn interessieren politische, kulturelle und geistesgeschichtliche Themen.


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